Motor wird auf Herz und Nieren geprüft |
Untertürkheimer
Zeitung 19.10.2006 |
SERIE: DER MOTOR - HERZ DES AUTOMOBILS |
Folge 8: Umweltschonende Kalttests analysieren in Sekundenschnelle
einzelne Motorfunktionen
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Stuttgart - Keine Innovation hat das Leben mehr
revolutioniert als das Automobil. Karl Benz und Gottlieb
Daimler brachten vor 120 Jahren unabhängig voneinander
die ersten Wagen zum Rollen. Der Mensch wurde beweglicher.
Basis für die Fortbewegung ist der Motor - das
Herz des Automobils. In unserer Serie verfolgen wir,
wie ein Motor entsteht. Von der Entwicklung bis zum
Versand und zur Verheiratung mit der Karosserie.
Heute: Kalttest für Mercedes-Motoren.
Hat sich in der Motorenproduktion
seit 100 Jahren auch vieles geändert, die oberste
Devise Gottlieb Daimlers gilt im Reihenmotorenwerk
und im V-Motorenwerk noch immer:
Nur das Beste
oder nichts.
Deswegen werden die Motorvorstufen
während der Fertigung permanent überprüft,
die eigentliche Generaluntersuchung auf Herz
und Nieren erfolgt sobald die Werker das letzte
Schräubchen festgezogen und das letzte
Einzelteil der langen Produktionskette montiert
haben. Noch jungfräulich wird jeder Motor
mehreren Prüfungen unterzogen, die unter
dem Begriff Kalttests zusammengefasst werden. "Wir
haben vor zehn Jahren von den benzingetriebenen
,Warmlauftests' auf die erfolgreichen Endfunktionstests
umgestellt, bei denen der Motor elektrisch
,geschleppt' und mehreren Prüfungen unterzogen
wird," berichtet Daniel Ulrich.
Als erstes erfolgt
jedoch ein statischer Lecktest. Wie von Geisterhand
wird der Rumpfmotor vollautomatisch an den
Prüfstand angeschlossen. Pressluft wird
in die Öl- und Wasserräume gepresst
und die Volumenströme registriert. Luftmoleküle
sind kleiner als Wasser und Öl. "Abweichungen
der festgelegten Volumenströme und Drücke
zeigen uns Undichtigkeiten an", erklärt
Testexperte Ulrich. Mehr als 99 Prozent der
Motoren verlassen mit dem Testergebnis "In
Ordnung" den Dichtigkeitscheck, "Nicht in Ordnung"-Motoren
kommen unter die Kontrolle von Klemens Kutzmutz
und seinen Kollegen. Mit Pressluft, einer Wasser-Seifenlösung
und einem geübten Auge findet der erfahrene
Mitarbeiter schnell das Leck: Wo sich kleinste
Seifenblasen bilden, sitzt ein Schlauch nicht
100-prozentig oder muss eine Schraube nochmals
nachgezogen werden. Erst nach einem weiteren
bestandenen, vollautomatischen Dichtigkeitstest
wandert der Motor zum Kalttest.
In Sekundenschnelle
wird auch hier das Kraftpaket von Zustelleinrichtungen
automatisch angeschlossen, die gewünschten Öffnungen
verschlossen. Ein auf jeden Motortyp zugeschnittenes
Testprogramm läuft ab. Der Motor wird
dabei elektrisch angetrieben und auf die gewünschten
Umdrehungen gebracht. Im Mechanikbereich werden
der Ölkreislauf, die Steuerzeiten, die
Kompression über Parameter, Öldruck
und Temperatur sowie Ein- und Auslassdrücke
und das Schleppmoment gemessen. Die Messdaten
müssen dabei innerhalb eines fest definierten
Bereichs liegen.
Ähnliches gilt für
den Elektriktest: Ist die Zündung kontaktiert?
Gibt es einen Zündfunken? Ist der Energiewert
in Ordnung? Sind Bestandteile des Zündungschecks. Ähnliche
Prüfbausteine gibt es für die Einspritz-
und die Sensorkontrolle sowie den Aktortest,
bei dem die Umluftklappen, die Drosselklappe
oder Abgasrückführventile überprüft
werden.Innerhalb von 80 Sekunden hat der Motor
etwa 200 Einzeltests durchlaufen. Der betrachtende
Laie sieht auf einem Bildschirm nur, wie hinter
den Bausteinen ein Haken nach dem anderen erscheint.
Die Ergebnisse sind in Ordnung. Sekunde um
Sekunde wird die Liste länger. Abweichungen
markiert der Computer sofort. "Dann liegt es
in der Erfahrung des Prüfstandtechnikers,
das Ergebnis einzuordnen und das Entsprechende
zu veranlassen. Zweiter Testlauf oder Nachkontrolle",
sagt Ulrich. Sämtliche persönliche
Daten jeden Motors werden übrigens gespeichert
und archiviert. Sie sind über mehrere
Jahre nachvollziehbar. Das ist jedoch nur ein
Vorteil der Kalttests. "Wir brauchen weniger
Teststände, müssen dadurch weniger
investieren, können die Kalttests mitten
in der Fabrik erledigen, während die Heißtests
in speziellen Räumen gemacht werden",
so Ulrich. Zudem freut sich die Umwelt. Durch
den Verzicht auf Benzin fallen Gefahrstoffe
und Abgase weg. "Zudem erhalten wir viel exaktere
Analysenwerte", sagt Ulrich. Basis dieser Innovation
sind die Software-Programme und Anlagen, die
DaimlerChrysler-Techniker und Ingenieure mit
externen Firmen entwickeln und permanent überwachen. |
Vierstündiger
Leistungstest
"Das heißt allerdings nicht,
dass wir auf Heißtests gänzlich
verzichten," sagt Ulrich. Etwa jeder
500. Motor wird einem ausführlichen
etwa vier Stunden dauernden Leistungstest
unterzogen. Ölverbrauch wird gemessen,
die Leistungs- und Drehmomentkurven
analysiert und zudem wird die Akustik
des Motors bewertet. Die heiße
Stichprobe dient der Gütesicherung
und dem Vergleich mit den Fakten der
Kalttests. Doch damit nicht genug:
Ein kleiner Teil der Stichprobe-Motoren
wird nochmals genauer unter die Lupen
genommen. "Sie werden von Hand zerlegt
und einer Sichtkontrolle unterzogen,
ob nicht doch ein Bestandteil einen
Knacks oder eine Auffälligkeit
hat", berichtet Ulrich. Schließlich
hängt auch in Ulrichs Büro
ein Plakat mit Daimlers Devise: Das
Beste oder nichts. |
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