2.7.2008 Untertürkheimer Zeitung - TEIL 3
WANGEN: Hafendirektor Bernd
Schopf und sein Vorgänger
Willi Heckle schildern die Entwicklung seit 1958
Von Mathias Kuhn
Als Bundespräsident Theodor Heuss 1958 das Band an
der Untertürkheimer
Schleuse durchschnitt, erfüllte sich ein Jahrhunderte alter
Wunsch: Stuttgart wurde Hafenstadt. Hafenchef Bernd Schopf (links)
und sein Vorgänger Willi Heckle (rechts) blicken im Interview
mit Redakteur Mathias Kuhn auf 50 Jahre Hafen Stuttgart zurück
und zeigen wichtige Etappen der Entwicklung auf.
Foto: Kuhn
Konnten die Gründerväter absehen,
dass der Hafen sich zu einer Logistikdrehscheibe entwickeln wird,
als sie mit dem Bau begannen?
Schopf: Ja, wobei sich die heutige Aufgabenstellung
etwas verändert hat. Sie wollten die Versorgung von Industrie
und Bevölkerung mit Gütern gewährleisten, die auf dem
Wasserweg frachtgünstiger in die Region gelangten konnten.
Heckle: Hauptantrieb war die Versorgung mit Massengütern
wie Kohle und Stahl. Dafür wurde ein zusätzlicher Transportweg
erschlossen. Die Revierferne Stuttgarts sollte egalisiert werden. Die
Region erhielt nun kostengünstiger Kohle und Stahl aus dem Ruhrgebiet.
Tatsächlich gingen die Frachtkosten für Kohle um rund ein
Drittel zurück.
Wie wichtig war der Hafen für die Wiederaufbaujahre?
Heckle: Er förderte diese Entwicklung. Stahl
und Baustoffe wurden dringend gebraucht und die großen Mengen
konnten mit dem Schiff frachtgünstig transportiert werden.
Schopf: Es wurden damals jährlich über
eine Million Bims für die Herstellung von Hohlblocksteinen mit
Schiffen aus dem Neuwieder Becken nach Stuttgart gebracht.
Auf Fotos der 60er-Jahre liegen oftmals drei Schiffe nebeneinander
an den Kais. Heute sieht man weniger Schiffe im Hafen. Woran liegt
das?
Schopf: Das hat mehrere Gründe. Es waren zum
einen mehr Massengüter und zudem waren die Schiffseinheiten deutlich
kleiner. Während die Schiffe früher zwischen 600 und 1000
Tonnen laden konnten, transportieren die neueren zwischen 1500 und
2500.
Heckle: Zusätzlich hatte man noch Lagerschiffe.
Das waren ältere, stationäre Schiffe, in denen Getreide und
Futtermittel zwischengelagert wurden, wenn die Silos voll waren.
Woher kamen die Agrarprodukte?
Schopf: Viele kamen aus der Umgebung, aber auch
aus Frankreich oder aus Übersee, wie die stärkehaltige Tapioka-Wurzel.
Heckle: Die damalige EWG bezuschusste die Bevorratung
von Nahrungsmitteln. Später wurden die Zuschüsse zurückgefahren,
gleichzeitig verringerten sich die landwirtschaftlichen Flächen
und die Zahl der Landwirte, die Futtermittel für ihr Vieh benötigen.
Die Lagerhaltung für den Agrarbereich verlor seine einstige Bedeutung.
Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind nicht das einzige Massengut,
das weggefallen ist.
Schopf: Genau. Am gravierendsten hat sich der Wegfall
der Kohle ausgewirkt. Kernkraftwerke ersetzen Kohlekraftwerke. Auch
der Hausbrand spielt heute keine Rolle mehr. Früher wurden hier
1,5 Millionen Tonnen Kohle umgeschlagen, heute sind es maximal 100
000 Tonnen.
Heckle: Eine wichtige Voraussetzung für die
Kraftwerke war übrigens die Kanalisierung des Neckars. Ohne den
Neckarausbau hätte die Wassermenge nicht gereicht, um die thermischen
und Kernkraftwerke zu kühlen, auch die Wasserkraftwerke hätten
nicht diese Effektivität.
Welche Entwicklung nahmen die Öllager?
Heckle: Sie waren von Beginn an im Hafen und haben
sich in den 60er-Jahren mit der Umstellung von Kohle auf Öl und
der steigenden Bedeutung des Autos rasant entwickelt.
Schopf: Früher kam das Öl mit dem Schiff
aus Rotterdam oder von anderen Seehäfen. Heute kommen Mineralölerzeugnisse überwiegend
per Bahn aus den Raffinerien in Karlsruhe oder Ingolstadt. Auch beim Öl
entfiel die Zwangsbevorratung. Deshalb konnte die Shell-Insel aufgegeben
und auf dieser Fläche der Zentralversand der Daimler AG gebaut
werden.
Ist dieses neue Logistikzentrum ein Paradebeispiel für den Strukturwandel
im Hafen?
Schopf: Durchaus. Früher gab es viele Freilagerflächen.
Heute stehen dort hochwertige Gebäude, in denen nicht nur gelagert,
sondern auch Werte geschöpft werden.
Heckle: Ein Beispiel dazu: Im Hafen sah man früher
riesige Sand- oder Kieshalden. Doch die Firmen haben gemerkt, dass
es wirtschaftlicher ist, wenn sie die gelagerten Zuschlagsstoffe selbst
zu Beton weiterverarbeiten. In Blütezeiten hatten wir hier vier
Betonwerke.
Schopf: Heute sind es noch zwei. Allerdings hochmoderne
mit einer größeren Kapazität. Ein weiteres Beispiel
für die heutige Wertschöpfung ist die Verarbeitung von Stahl.
Eines unserer Hafenunternehmen erhält per Schiff und Bahn über
200 000 Tonnen Stahlbleche angeliefert. Im Unternehmen werden diese
zu Spaltbändern und Blechzuschnitten verarbeitet. Diese Halberzeugnisse
gehen an weiterverarbeitende Unternehmen der Weißgüter-
und Automobilindustrie. Manche Kühlschranktür und manches
Schiebedach hat seinen Geburtsort im Stuttgarter Hafen.
Unternehmen, die Trends erkennen und reagieren, haben also Erfolg?
Schopf: Ja. Der Hafen ist ein Spiegelbild der Wirtschaft.
Er ist zu einer vielseitigen Logistikdrehscheibe geworden, übt
aber auch die Funktion eines Industriegebiets aus. Das gute Verkehrsnetz
und die günstige Lage zu großen Produktionsbetrieben begünstigen
dies.
Heckle: Bedeutende Schritte waren der Bau des Daimler-Logistikzentrums
und die Inbetriebnahme des Terminals für Containerschiffe.
Sie sprechen die unglaubliche Erfolgsgeschichte des Containertransports
auf dem Neckar an. Wieso erkannten damals nur wenige diese Entwicklung?
Heckle: Wichtig war, dass wir überhaupt mit
dem kombinierten Verkehr starten konnten. Den Anfang machte 1992 der
Umschlagbahnhof für den kombinierten Verkehr Schiene/Straße.
Dafür haben wir zehn Jahre gekämpft. Zuvor fuhren die Lastwagen
vom oberen Neckar- oder Filstal auf der B10 und über den Pragsattel
quer durch Stuttgart nach Kornwestheim. Der zweite Meilenstein war
das Terminal für die Containerschifffahrt. Es waren viele Klippen
zu beseitigen. Der Erfolg gibt uns jedoch recht. Mittlerweile wurde
2004 das wasserseitige Containerterminal erweitert. Trotzdem arbeitet
das Unternehmen wieder an der Kapazitätsgrenze.
Schopf: Seit 2006 nutzt das SCT intensiv auch seinen
Gleisanschluss. Die Neckarschiffe fahren überwiegend die Seehäfen
Rotterdam und Antwerpen an. Mit dem Zug gelangen Container im Nachtsprung
zu den deutschen Seehäfen. Der Containertransport im Hafen weist
weiterhin hohe Zuwachsraten auf.
Der Hafen ist also für die Zukunft gerüstet?
Schopf: Häfen sind zeitgemäßer
denn je. Einige Unternehmen wollen ihre Flächen für Wasser-
und Bahnumschlag revitalisieren. Sie erkennen, dass der Güterverkehr
in den kommenden Jahren so stark anwachsen wird, dass der Schiffs-
und Bahnumschlag gesteigert werden muss, weil sonst auf den Straßen
der Infarkt droht. Zudem müssen die Neckarschleusen für moderne,
längere Schiffe erweitert werden.
Heckle: Wir haben einen trimodalen Hafen. Schiff,
Schiene und Straßenverkehr verknüpfen und ergänzen
sich hier ideal. Ein solcher Platz ist für ökonomische und ökologische
Verkehre, für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft
wie auch für die Ver- und Entsorgung von Stadt und Region einzigartig.
Es wäre kurzsichtig, ökologisch und ökonomisch widersinnig,
dieses Verkehrs-, Umschlags- und Industriezentrum für andere Zwecke
wie Freizeit oder Wohnen zu nutzen.
Schopf: Richtig. Der Hafen Stuttgart ist seit Betriebsaufnahme
immer komplett ausgebucht. Wir haben nicht einen Quadratmeter ungenutzte
Fläche und es gibt auch kein Anzeichen, dass Firmen den Hafen
verlassen wollen. Gibt es einen besseren Beweis für die Bedeutung
des Hafens?