1920 - Der Neckar wird schiffbar gemacht
18.06.2008 Untertürkheimer Zeitung
UNTERTüRKHEIM:
Der Fluss erhält bei Untertürkheim einen
neuen Lauf -
Hochwasserschutz
und Kanalisation zugleich
Von Mathias Kuhn
Als Bundespräsident Theodor
Heuss vor 50 Jahren das Band an der Untertürkheimer Schleuse durchschnitt,
erfüllte sich ein Jahrhunderte alter Wunsch: Stuttgart wurde Hafenstadt.
Heute werden etwa 2,5 Millionen Tonnen im Neckarhafen umgeschlagen. In
unserer Serie blicken wir zurück auf 50 Jahre Hafen Stuttgart
und zeigen die wichtigsten Etappen der Entwicklung auf.
Nach Inschriften
auf einem bei Marbach gefundenen Motivstein wurde schon im 2. Jahrhundert
nach Christi Schifffahrt auf dem 188 Kilometer langen Teilstück
zwischen Cannstatt und der Mündung in den Rhein bei Mannheim
betrieben. Die Römer sollen den Wasserweg zum Transport des
Proviants und der Post genutzt haben. Sie haben den Fluss als Lebensader
des heutigen Schwabens erkannt.
Doch bereits die keltische Bedeutung des Namens Neckar
weist auf die Herausforderungen für die damaligen Flößer
und Schiffskapitäne hin. Auf der etwa 200 Kilometer langen Strecke
von Plochingen bis Mannheim fällt das Gewässer 161 Höhenmeter.
Das Wasser schoss über Stromschnellen und floss vor allem bei Hochwasser
reißend durchs Tal. „Wilder Fluss“ oder „wilder
Bursche“ nannten die Kelten deswegen den oft aufbrausenden und
gefährlichen Strom. Die Neckaranrainer wussten, dass sie diesen
Naturburschen nur nutzen können, wenn sie ihn bändigen.
Heilbronn
1840 - Heilbronner Wilhelmskanal - mit diesem Kanal wurde der Neckar
1821 durchgängig schiffbar (Quelle: Wikipedia)
Im
14. Jahrhundert „versperrte“ zunächst die Reichsstadt
Heilbronn den Cannstattern den Weg. 1333 erteilte der Kaiser Ludwig IV
der Bayer der Reichsstadt das kaiserliche Privileg, den Neckar nach Belieben
zu nutzen. Die Heilbronner verlegten den Hauptarm, stauten sein Wasser
für Mühlwerke und sperrten gleichzeitig den Schifffahrtsweg
- ein Ärgernis für die oberhalb liegenden württembergischen
Regenten. Die eigentliche Neckar-Schifffahrt in unserer Region hat deswegen
seine Wurzeln im Nürtinger Vertrag von 1442, in dem Graf Ludwig
I und Graf Ulrich V entschieden, dass „der Neccar eröffnet
und schiffbar gemacht werden soll“. Doch der Schiffsverkehr bis
Cannstatt war wegen der Wildheit des Flusses nur von kurzer Dauer. Erst
1713 war die Strecke von Heilbronn nach Cannstatt wieder im befahrbaren
Zustand und der Verkehr erstarkte als Folge eines im Jahr 1782 zwischen
Bayern und Württemberg abgeschlossenen Handelvertrags.
Doch mit
dem 1845 beginnenden Zeitalter des württembergischen Eisenbahnnetzes
erfuhr die Neckarschifffahrt einen Rückschlag und wurde 1865 eingestellt.
Der entscheidende Anlauf zur „Bändigung des Neckars“ erfolgte
1897 als unter Vorsitz des Handelskammer-Präsidenten Julius von
Jobst das „Komitee für die Hebung der Neckarschifffahrt“ gegründet
wurde.
1904 kam es zu einem baureifen Entwurf für die 113 Kilometer
lange Strecke Mannheim - Heilbronn, die 1912 durch Planungsvorschläge
für das 99 Kilometer lange württembergische Teilstück
Heilbronn - Plochingen ergänzt wurde. Doch erst nach dem Ersten
Weltkrieg wurden die Pläne konkreter.
1920 beschließt die
deutsche Nationalversammlung den Betrag von 10 Millionen Mark zur „sofortigen
Einleitung der Bauarbeiten am Neckarkanal von Mannheim bis Plochingen“.
Die Neckar Aktiengesellschaft wird 1921 gegründet.
In der Folgezeit
wurden die Anlagen für die Grossschifffahrt als auch die Wehre
zur Nutzung der Wasserkraft erstellt. Zwischen Obertürkheim und Wangen
zwängten die Planer den einst sich wild durchs Tal schlängelnden
Fluss in eine künstliche Rinne.
Untertürkheim
um 1908 - alter Neckarverlauf mit Stahlbrücke
Jahrhunderte lang floss der Neckar
von Obertürkheim bis Untertürkheim direkt links des Bahndamms
- etwa im Bereich der heutigen Hafenbahnstraße. Er trennte Untertürkheim
vom Lindenschulviertel. Eine Stahlbrücke verband die beiden Teile.
Am Kraftwerk vorbei floss das Wasser talwärts links der Daimler-Werke
in Richtung Cannstatt. Ab 1924 erhielt er einen neuen Verlauf. Etwa auf
Höhe der heutigen Otto-Konz-Brücken „knickte“ er
Richtung Wangen und zum 1923 neu erbauten Untertürkheimer Wehr.
Die neue Inselbrücke verband Untertürkheim mit Wangen. Ein
Stichkanal versorgt noch heute das Elektrizitätswerk mit Wasser.
Das Lindenschulviertel liegt seitdem rechts des Neckars und das Inselbad
konnte 1927 gebaut werden. „Die Neckarverlegung hat Untertürkheim
entscheidend verändert“, sagt Ortschronist Eberhard Hahn.
Die Kanalisierung und der Bau der Staustufen waren die Voraussetzung
für die Handelsschifffahrt und der erste Schritt zum Bau des
Stuttgarter Neckarhafens.
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Stuttgarter Nachrichten 22.7.2009 - Menschen
am Fluss
Dem wilden Burschen
das Rückgrat gebrochen
Aus reißenden Fluten wird eine träge Wasserstraße
Stuttgart ist nicht nah genug ans Wasser gebaut, vielen Menschen ist
der Neckar in der eigenen Stadt fremd. In dieser Serie stellen wir Menschen
vor, denen der Fluss nahegeht.
An der Neckarschleife zwischen Münster und
Hofen ist von der Geschäftigkeit des Hafens nichts zu spüren.
"Je mehr der Fluss renaturiert wird, desto besser", sagt der Heimathistoriker
Wolfgang Zwinz. Der "wilde Bursche", das "wilde Wasser", wie Kelten den Neckar
genannt haben sollen, liegt ihm näher als die Bundeswasserstraße.
Wild durfte der Neckar nicht bleiben. Nutzbar und kalkulierbar
wollte man ihn haben. Holz, Kohle und Kies trug der Fluss früher, heute
befördert er millionentonnenfach Eisen, Stahl und Schrott
auf den 190 Kilometern vom Hafen bis zum Rhein.
145 Höhenmeter überwindet der Fluss auf dieser Strecke. Die
Stromschnellen, das gelegentliche Aufbrausen des Flusses, war für
die Burgherren am steilen Ufer des Max-Eyth-Sees ein atemberaubendes
Schauspiel. Hoch überm Neckar zeigt Wolfgang Zwinz auf Steine,
die vermutlich ein Hund unter der Parkbank vorgescharrt hat: "Die könnten
ein Beweis dafür sein, dass hier um 700 tatsächlich die
Burganlage Freienstein stand."
Ob die Herzöge, wie zuvor die Römer, den Fluss für Transporte
genutzt haben, ist nicht gesichert. Zwinz: "Erst aus dem Jahr 1342
liegt ein Vertrag zwischen dem Marktgraf Rudolf von Baden und Graf
Ulrich III. von Württemberg vor, der die Flößerei auf
dem Neckar freigibt." Zum Heizen, zum Haus- und Möbelbau, für
Fässer und Bütten braucht man Holz, das Brennholz aber wird
ohne Floß flussabwärts geschickt.
In dieser Zeit expandiert Stuttgart. "Als die Ansiedlung im 13. Jahrhundert
zur Stadt erhoben worden war, lebten 3000 Menschen in dem sumpfigen
Gelände zwischen Nesenbach, Vogelsangbach, dem Büchsensee
an der gleichnamigen Straße und dem Unteren See an der Keplerstraße",
schreibt der Historiker Jürgen Hagel in seinem Buch "Mensch und
Natur im Stuttgarter Raum".
Der Hafen, an dem das Holz anlandet, liegt in Berg. Die für Stuttgart
bestimmte Ware muss auf Fuhrwerke umgeladen werden. Damals reift die
Idee, einen Neckarkanal Richtung Stuttgart zu graben und die Schiffe
mit Pferden auf den Treidelpfaden bis zum Schlossplatz zu ziehen. Zwinz: "Vermutlich
scheiterte der Plan daran, dass der Kanal durch königliches Gebiet
geführt hätte, was damals ausgeschlossen war."
Vom Fluss profitieren viele: "Sand und Kies, den der Neckar im Überfluss
liefert, wird zum Straßenbau und Hochbauwesen unausgesetzt geholt",
heißt es 1832 in der Oberamtsbeschreibung von Cannstatt. Bis
zu fünf Meter mächtig waren die Ablagerungen in den Flussbiegungen,
und trotzdem, schreibt Hagel, kam es gar zu einer Schlägerei,
weil die Hedelfinger Kies von Untertürkheim geholt haben.
Der Cannstatter Karl Epple, der sich in jungen Jahren als Stahlkocher
im Ruhrgebiet und als Bierkutscher in Zwiefalten sein Geld verdient,
lässt nach dem Ersten Weltkrieg gewerblich Kies schöpfen:
zunächst im Fluss, von Hand und mit einem schwimmenden Bagger,
später auf dem Gelände der Familie Eyth.
Der Fluss sichert Existenzen, und er nimmt Hab und Gut. "Hochwasser",
konstatiert Jürgen Hagel, "ist eine normale Erscheinung." Immer
wieder reißt der Fluss Weidegelände und Brücken mit
sich. Der
älteste Hochwasserbericht stammt aus dem Jahr 1524: Cannstatter flohen,
in Stuttgart hielt man Bittgottesdienste ab, das Tanzen war verboten. 1824
verzeichnet die Chronik von Cannstatt: "Man fand kaum Zeit, die Keller auszuräumen
und den in den Kufen stehenden Wein zu sichern." Im September 1851 schwammen
mit den Fluten die fürs Volksfest aufgebauten Zelte davon. Wolfgang Zwinz
zeigt auf den ausgewaschenen Sandstein am Hofener Fährhäusle und
eine Markierung: "H. H.", Hochwasser Hofen, steht da, "1851", das
Katastrophenjahr, in dem an zwei aufeinanderfolgenden Monaten die
Neckaranrainer im Wasser standen.
Der Baumeister Heinrich Schickhardt skizziert im 16. Jahrhundert
Wehre, die den Fluss entschleunigen sollen, eine Begradigung zwischen
Untertürkheim
und Berg liegt auf dem Tisch. Auf Betreiben des Strombaumeisters Otto
Konz gibt die Deutsche Nationalversammlung 1920 grünes Licht für
den Ausbau des Neckars zur Großwasserstraße. Schleusen,
Wehre und steinerne Ufer haben dem wilden Fluss schließlich das
Rückgrat gebrochen.
Jetzt hat der Neckar Anschluss an die Weltmeere, aber nicht an
die Stadt. Dabei war die Anbindung schon mal besser: 1935 wird
die alte Eyth'sche Kiesgrube unter der Leitung von Konz zur Sport-,
Bade- und Freizeitanlage ausgebaut. "An Wochenenden kamen bis zu 40 000 Besucher",
so Zwinz - und die SSB richtet eine Schiffsverbindung zwischen
Cannstatt und Hofen ein.
Die Anlegestelle war dort, wo zurzeit das Theaterschiff liegt.
Am Max-Eyth-See hat der Stadtjugendring einen Strand angelegt.
Der
"Landschaftspark Neckar" nimmt überregional Gestalt an. Verändert
sich das Landschaftsbild doch noch? Darf der Bursche wenigstens
stellenweise wild tun?
Barbara Czimmer-Gauss
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