Bernd Dangelmaier - Jugenderinnerungen eines Untertürkheimers
Bernd Dangelmaier - Jahrgang 1944 - wuchs in Untertürkheim auf und lebt jetzt in Rohrdorf bei Nagold
Teil 2: Untertürkheim, 1951 – 1961
Teil 2: Untertürkheim, 1951 – 1961
Wir wohnten 1951 bei Hammers unten drin, in der Ötztalerstraße 18 in Untertürkheim. Oben wohnten die Geschwister Hammer mit
Sophie, Ernst und Erich. Einer von denen hatte immer seinen Nachttopf in den Hinterhof geschüttet.
Dafür warf ich im Winter immer Schneeballen in deren offenes Klofenster. Wenn diese dann geschmolzen
waren, sah es auch so aus, als ob es einem nicht gereicht hätte. In Ermangelung eigener Kinder, da alle
unverheiratet, wurde ich von Sophie miterzogen, wobei sie mit Schwester Luise aus der Kinderkrippe
unter einer Decke steckte. Zudem waren sie auch noch „Wengerter“ und hatten oben am Mönchsberg
einen Weinberg. Bei der Weinlese durfte (oder musste) ich mithelfen und lernte dabei auch den
Verarbeitungsprozess in unserer imposanten Kelter kennen.
Sie hatten eine Flaschnerei in einem Gebäude hinter dem Haus, und unsere Küchentüre führte direkt in den
Arbeitshof. Dort wuchs ich mit Karbid, Salzsäure, Lötzinn und Hanf (kein Haschisch) auf. Bei zwei
Lehrlingen lernte ich die Werkstatt fegen und Fahrradfahren, allerdings erst mal unter der oberen Stange
durch. Nach Feierabend - beim Aufräumen - klang dann der Schlager „Blaue Nacht, oh blaue Nacht im
Hafen“ durch die Werkstatt, vermutlich hat mich das beruflich beeinflusst. Später übernahm dann die
Familie Exler den Flaschnereibetrieb.
Gegenüber war der Kindergarten und etwas später wurde der Schrebergarten durch einen öffentlichen
Spielplatz, ersetzt. Links daneben steht die Nebelhornschule, man hörte die Abschlussklassen oft singen. Dort
war auch die Küferei „Brüstle“, wo man am Fensterschalter für 10 Pfennige ein Glas Most trinken
konnte. Links vom Schalter ging es in eine kleine Trinkstube, wo man allerdings auch Wein trinken
konnte. Die hatten auch bald jenen Erdnussautomaten, wo mit einer Hebeldrehung eine Hand voll Nüsse
aus dem Glasbehälter kam. Wenn Apfelernte war, dann wurde hier Tag und Nacht gearbeitet.
Hinter denen wohnte einer der sehr guten Ringer des KVU. Da ich selbst auch eine Zeit lang bei dieser
Truppe war, vermute ich mal, es war der „Schwarz“. Es gab damals noch einen weiteren bekannten
Ringer, der allerdings einige Klassen tiefer kämpfte, das war der „Stange“. Mehr als die Trainingskämpfe
und eine Mitwirkung an der Weihnachtsfeier kam bei mir nicht raus, denn die regelmäßigen Übungsabende drüben bei der Lindenschule, überforderten meine Disziplin. Andere Schulkameraden
spielten Fußball beim SGU, aber ein Star wurde keiner von ihnen.
Hinterm unserem Haus, an der Flaschnerei vorbei, ging ein Weg durch den Garten einer - für mich
damals mysteriösen - kirchlichen Vereinigung zum „Alten Friedhof“. Auf dessen Mauer konnte man
wunderbar rumlaufen, wenn man sich auch manchmal durch irgendwelche Zweige kämpfen musste.
Unterwegs zwangen uns Figuren und Rundbögen zum Absteigen, aber das war halb so wild. Eines Tages wurden die wenigen, alten Gräber verlegt, da sie einem Spielplatz weichen mussten. Jene
Exhumierung nahm ich zum Anlass, meine medizinischen Kenntnisse zu erweitern. Einen Arm voll
schöner Knochen nahm ich mit nach hause, vielleicht musste ich auch öfters laufen. In unserem
Hinterhof versuchte ich nun ein Skelett zu rekonstruieren, aber da fehlte wohl einiges. Die Entsorgung
jener Knochen war sicherlich nicht sehr pietätvoll, denn zurück bringen wollte ich sie nicht.
Um den Friedhof herum wohnten noch einige Gleichaltrige. Siegfried R. direkt vorne im
Wohnblock, und am Osteingang auf der andren Seite Christa K.. Ebenfalls in der Großglocknerstraße
Hans-Peter G. und Ursula D.. Oben, rechts gegenüber vom „Waldhorn“ auch mein entfernter
Verwandter Kurt W., der sich später durchgeboxt hat, und später auch Christa K. rechts
oberhalb des Wilhelmbrunnens.
In einer Villa nahe der katholischen Kirche residierte Roland M., der uns bei einem Schulausflug nach
Maulbronn so perfekt die Glocken geläutet hat, aber doch nicht Pfarrer wurde, sondern in die beruflichen
Fußstapfen seines Vaters getreten ist. Das war dann schon die oberste Grenze für das Einzugsgebiet der
Untertürkheimer Schulen.

Den Rest des 1. Schuljahres verbrachte ich in der Widdersteinschule im Altbau bei Frl. Schönherr. Es gab für
unsere Tafeln jetzt nicht nur den harten Griffel, sondern auch einen modernen Minengriffel mit weicheren
Stiften, aber immer noch die stinkigen Schwammdosen. In der 2. Klasse ging es im selben Altbau weiter
bei Fr. Berner.

Später in der 3. und 4. Klasse wechselten wir über den Schulhof in den Neubau, anfangs in das linke
Klassenzimmer, danach in das rechte. Der alte Lehrer „Ruoss“ hatte zwar schon vorher graue Haare, aber
wir gaben ihm den Rest. Das hat ihn wohl so fertig gemacht, dass er oftmals länger pausieren musste und
wir mit Ersatzlehrern die Zeit überbrückten (Schmoll, Japu..?). Hier, als auch in den Folgeklassen, gab es
jene Sitzpulte mit schräger Klappe und Tintenfass oben drinnen. Der Hausmeister musste wohl immer für
die Füllung sorgen, denn geschrieben wurde mit einer Feder (Gold, Silber, Platin oder was Ähnliches),
die immer wieder eingetaucht werden musste. Es gab auch verschiedene Federstärken für die
entsprechenden Verwendungen, das wurde bei Beginn des Schuljahres bekannt gegeben.

Nach der Schule mußte ich mit einigen anderen Schulkameraden in die Krippe (Schlössle) zu Schwester
Luise, welche uns mit strengem Regiment im Zaum hielt. Ich war aber auch schon früher vor der Schule
in dieser Krippe, da man hier, im Gegensatz zu Luginsland, den ganzen Tag untergebracht war. Hier
wurden wir unter ihrer strengen Aufsicht gezwungen, jene ekelige Sagosuppe zu essen, auch den grünen
Salat brachte ich damals nur mit Würgen hinunter. Unten im Krippengelände war ein großer
Gemüsegarten und ein interessanter Schweinestall. Das Ärgern der Schweine war natürlich verboten,
zumal wir in jenem Bereich sowieso nichts zu suchen hatten.
Noch vor dem letzten Schuljahr wurde ich dort rausgeschmissen, bzw. wollte nicht mehr hin, aber auf der
Mauer außen rum tummelte ich mich mit Jürgen O. trotzdem noch. Auf der anderen Seite der Ötztalerstraße war die Wilhelmsschule, dort wurden die 5. bis 7. Klassen unterrichtet. In der
Hindelanger Straße 24, um die Ecke, das Haus von Familie O. Opa, Onkel, Mutter, dazu die Kinder Horst,
Peter und Jürgen mein Schulkamerad. Der Onkel hatte ein Rhabarberkütschle (Dreirad) und eine „Agria“
im Schuppen hinterm Haus, tolle Spielzeuge für uns. Am Eck gegenüber wohnte W., er ging später aufs
Gymnasium. Dort gegenüber, beim Konsum oben unterm Dach, Reinhold H.. Der ging nicht auf
das Gymnasium, sondern am Sonntagmittag immer zu uns, um noch eine Zusatzverpflegung zu
bekommen. Ganz unten an der Silvrettastraße war das Feuerwehrdepot, und damals waren die
Feuerwehren noch was ganz tolles. Der Leiterwagen mit den freien Sitzen, genau so wie bei den
Spielzeugfeuerwehren.
Oben am Eck zur Lindenfelsstraße war auch ein Bäcker, in dieser Straße wohnte bei einem Maler oben
drin, die Familie von Uli R.. Im Areal der Wilhelmsschule gab es ein Wohnhaus, in dem nicht die
Lehrer, sondern unter anderem die Familie Vetter (Horst?) wohnte. Mit dem tauschte ich immer
Romanhefte, Jerry Cotton, Billy Jenkins, Tom Prox, Pete, Rasselbande, Jörn Farrow, Tom Collins, Perry
Rhodan, Comics wie Micky Maus, Sigurd, Tarzan, Akim, Jezab, Phantom, Las la Rue, Primo Canera, Fix
und Foxi, Felix, später auch „höhere Literatur“ wie Karl May und andere Abenteuerromane. Oft machte
ich mich auch auf den langen Weg nach Cannstatt ins „Anna-Haag-Haus“ um mir dort in der Bücherei
was zu leihen. Dort konnte man auch töpfern und basteln.
Später ging ich nur um die Ecke zum Schreibwarenladen in der Oberstdorfer Straße, dort konnte man auch
Bücher ausleihen. Oben drin wohnten H., mit Tochter Gudrun und einem älteren Bruder, die kannte
ich noch von Luginsland. In der Bäckerei Rößler, vorne am Eck, durfte ich immer anschreiben lassen, oft
für Mohrenköpfe, Bärendreckrollen oder andere Süßigkeiten, der Neid meiner Klassenkameraden war mir
sicher. Oben unterm Dach wohnte ein Lehrling, der morgens um 4:00 Uhr aufstehen musste, der war auch
ab und zu in unserer Heftetauschgruppe.
Direkt gegenüber dem Bahnhof die Haltestelle für den „Storch“, dem Bus nach Rotenberg. In der Arlbergstraße war auch
ein Spielwarenladen ohne Erdgeschoss. Über eine Holztreppe ging es in den Keller, dort war ein weiterer
Aufstieg mit Verbindung zur Augsburger Straße. Hier gab es das Cafe „Schenk“ und gegenüber „Kaisers
Kaffee“ mit dem köstlichen Kaffeeduft. Dieser wurde in der Faschingszeit von bösen Buben doch
tatsächlich per Mutprobe mit einer Stinkbombe überdeckt. An der Ecke zur Widdersteinstraße das Cafe „Wöllhaf“, wo im Sommer das gute Eis geschleckt wurde. In der Weihnachtszeit waren die Auslagen der
Spielwarengeschäfte am Bahnhof und in der Widdersteinstraße (Höfliger) ein Platz für Kinderträume,
dort wurden Märklin-Eisenbahnwelten aufgebaut und vermutlich jeden Tag die Fettflecken am
Schaufenster außen abgewischt.
Im Winter konnte man eigentlich auf allen Straßen mit dem Schlitten runterfahren, aber bevorzugt wurde auch mal der
Bahndamm neben dem Bahnhof, wo auch der Festplatz war (Postplatz oder Hirschgarten). Mit
fortgeschrittenem Alter ging es zum Schlittenfahren natürlich die Rotenberger Steige mit ihren Schanzen
rauf. Wir machten die Weinbergwege am Mönchsberg und Rotenberg unsicher und gingen sogar bis rauf
zur Katharinenlinde. Auf der Strecke hinter dem Mönchsberg zum „Wolfelesbach“ runter, musste man
aufpassen, dass man nicht beim Brunnen auf vereistem Weg ins Bachbett abstürzte.
Bei einer anderen
Abfahrt vom Rotenberg lag ich vorne auf meinem Schlitten und habe hinten an den Füssen noch einen zweiten
eingehängt (Gerhard G. + ?). Unterwegs schlug mir eine Weinrebe ins Gesicht und ich rammte die
Weinbergmauer. Nahe an meiner Schläfe war ein offene Wunde und die Schulfreunde rieten mir, zum Arzt zu
gehen. Zu welchen? - ich kannte keinen. Unten in der Augsburger Straße war einer, der kratzte an meinem
Schädelknochen rum und zeigte seiner Assistentin die Wunde, dann wurden jene und die an der
Augenbraue zugenäht.
Wo wir gerade in der Nähe des Uli-Kinos sind, dort war ich Stammgast, wie in allen anderen Kinos
auch. Jenes hatte die Besonderheit der zwei Eingänge, man konnte sowohl von der Bahnseite, als auch über
den engen Rampengang von der Augsburger Straße reinkommen. Neben „Sperrsitz“ und „Parkett“, gab es
auch noch die „Loge“ ein Stockwerk höher. In wechselnder Besetzung, aber meist mit Dieter H.
wurden viele, viele andere Kinos besucht, z.B. die Schauburg am Stöckach. Für 60 Pfennige gab es den
billigsten Platz in der Jugendvorstellung, das waren drei Flaschen Pfandgeld. Wenn die billigen Plätze
ausverkauft waren, musste man nur lange genug mit traurigem Gesicht vor der Kasse stehen, bis man
einen Notsitz am Seitengang, oder den 80er-Platz billiger bekam. Mit einem voll geklebten Rabattheftchen
vom „Nanz“ (Augsburger Straße) habe ich das auch manchmal finanziert. Es waren hauptsächlich „Fuzzy“-Filme die wir dort sahen, mit „Lassy la Rock“ als peitschenschwingendem Helden. In der „Goldhamsterzeit“ (jeder hatte einen) nahm ich sogar meinen Hamster mit ins Kino. Er marschierte in
den Ärmeln meines Pullis rum und suchte sich den besten Platz. Oft wurden die „Viecher“ auch mit in
die Schule genommen.
Auf Grund der folgenden Bilder möchte ich auch noch die Schulausflüge erwähnen. Kloster Maulbronn
mit Roland M. hatten wir schon kurz gestreift. Dann war natürlich der Asberg (wegen Schubart und
Schiller), verbunden mit den Schlössern Monrepos und Ludwigsburg. Ebenfalls Schiller brachte uns auch
nach Marbach. Schloss Solitude ist natürlich auch ein Pflichtausflug, sowie der „Monte Scherbelino“ und der
Bärensee mit Bärenschlössle. Die Bilder zeigen uns beim Ausflug „Teck“ und „Randecker Maar“.

Mit der 5. Klasse blieb ich wegen total „vergeigtem“ Zeugnis in der Volksschule, obwohl mir der
Wechsel in die höher angesiedelte Lindenschule sicherlich auch möglich gewesen wäre. Es ging in die
Willhelmsschule zum Lehrer Hammer, der wiederum auch was mit Geigen zu tun hatte, allerdings
vergeigte er uns. Diese Kunst verschließt sich jedoch einem Fünftklässler. Es war noch gemeinsam mit
den Mädchen, was ich zu dieser Zeit leider noch nicht zu schätzen wusste. Es gab damals noch die
Milchspeisung, wobei die Milch weniger schmackhaft war, als der Kakao. Um das Gebäude herum
waren teilweise dicke Betonwälle errichtet, damals machte man sich noch keine Gedanken
darüber, es waren schöne Spielgeräte. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann waren
es natürlich Schutzmauern für den Bunker und den Eingang dazu. Unten im Keller war auch
der Filmraum, wo Schwarzwaldfilme gezeigt wurden.

Sport war schon damals ein Fach, bei dem man leicht schwänzen konnte, für mich jedoch nicht. Eine Zeit
lang ging es zur Halle bei der Lindenschule rüber, dann wurde bei der Kelter eine nähere Halle gebaut.
Lange Zeit gab es noch einen richtigen Sportlehrer (Achatz), der uns auch das Schwimmen im
Frauenbecken des Inselbades beibrachte, oder für die Bundesjugendspiele trainierte (TBU-Platz im
Gehrenwald), später übernahm ein normaler Lehrer dieses Zusatzfach. Beim Klettern an Seil oder Stange war ich der Beste, was mir später beruflich sehr entgegen kam. Im Winter ging es auch einige mal ins
Hallenbad nach Ostheim. In der Kenntnis, dass Fett vor Kälte schützt, habe ich mich vor einem Besuch
auch schon mal mit Salatöl eingerieben.
Mit der 7. Klasse wurden wir ins Chaos gestürzt. Lehrer Heilbronner war sonst nur in unteren Klassen
tätig und übernahm nun Pubertierende. Die Fische im Aquarium überlebten nicht lange. In den
Wunder- tüten gab es gerade Blasrohre. Jene, mit einer wattegefiederten Nadel geladen, ergaben eine
wunderbare Waffe, um den Lehrer an der Tafel zielgerecht einzurahmen. Es gab Tatzenhiebe auf die
Hand und andere Tätlichkeiten. Siegfried H., unser größter Rabauke wurde mal vor die Tür gestellt
und weil er immer wieder störte, wurde diese abgeschlossen. Danach blockierte er mit einen Pfennig
das Schloss und turnte in luftiger Höhe von ca. fünf Metern auf dem Sims vor unseren Klassenfenstern rum.
Man konnte über ihn auch sämtliche Fahrradteile erwerben bzw. bestellen. An den Kinos und vor dem
Inselbad hatte er sein Ersatzteillager. Zeitweise hatte ich zwei Lampen am Fahrrad (Fernlicht und
Abblendlicht), sowie auch zwei Rücklichter. Ebenfalls war ich mit jenen Drehklingeln gut bestückt, welche
man per Seilzug an den Reifen ziehen konnte. Gegen einige von uns wurde später auch ermittelt, warum
denn, wir haben doch in „gutem Glauben“ gekauft bzw. getauscht. Er blieb dann nicht mehr lange bei
uns, aber unsere Klasse war die schlimmste in ganz Stuttgart.
Wenn ich die Unterschriften von Herrn Heilbronner in meinem Zeugnisheft betrachte, so sagt das viel über seinen Zustand aus. Sie ist in ihrer schwungvollen Größe vom 1. Halbjahr bis zum Ende um die
Hälfte geschrumpft! Die Mädchen hatten nun ihre eigene Klasse und wir kamen nur im Schulhof
zusammen, es wurden Blicke ausgetauscht und man begann zu schwärmen. Bei irgend einem Singspiel
wurde ich Brigitte G. „zugeordnet“, wieso, weshalb? Nun ja, Kindermund tut Wahrheit kund und ich
bin bis heute mit diesem „Trauma“ seelisch belastet.
Uns wollte danach keine Schule bzw. Lehrer mehr haben. Man dachte daran, die Klasse aufzuteilen.
Unser Retter war Oberlehrer Spranger, der schon immer die oberen Klassen hatte, sowie das richtige
Gespür für Halbstarke. Dafür war ein Wechsel in die Widdersteinschule notwendig, direkt neben unserer
Wohnung. Daraus ergab sich, dass ich morgens immer der Letzte war, es sei denn, es weckten mich
andere Schulkameraden rechtzeitig, um bei uns noch ihre Hausaufgaben zu machen.
Herr Spranger begrüßte alle Schüler mit Handschlag und gab uns viele Freiheiten. Wenn ich also reinkam, dann saßen alle schon, ich ging an seinem Pult vorbei, „guten Morgen Herr Spranger“ und setzte
mich an meinen Platz. Auf dem großen Ofen kochte schon der Wasserkessel und unser Lehrer hatte sich
auch bestimmt schon beim „Brüstle“ (Küferei nebenan) einen Wein oder Most geholt. Er konnte nur
unter Schmerzen gehen, war aber der beste Lehrer den wir bekommen konnten.
In „Rechnen“ und „Raumlehre“ setzte ich zum Höhenflug an. Als ich bei einer Klassenarbeit sehr schnell
fehlerfrei fertig war, schickte er mich mit dieser hoch zu Frau Gard und der Mädchenklasse, die an
derselben Arbeit saßen. Ich habe das verdrängt und weiß heute nicht mehr, ob ich rein ging, oder einen
Rückzieher machte. Man konnte bei seinen Arbeiten den Raum verlassen, wenn man fertig war, in der
letzten Stunde auch nach Hause gehen. Auch die Kultur kam nicht zu kurz, so lernten wir zum Beispiel
die „Bürgschaft“ von Schiller auswendig und sangen stimmbruchmäßig „Freude schöner Götterfunken“.
Es waren in dieser letzten Klasse auch die Luginsländer zu uns gestoßen, bei denen ich eine Hälfte
meines 1. Schuljahres verbracht hatte. Da mussten die Rangordnungen natürlich neu ermittelt werden,
was im Schulhof oftmals zu Schaukämpfen der Platzhirsche führte. Mit ihnen kamen auch „ihre“
Mädchen zu uns nach Untertürkheim, ein Umstand, der das Balzverhalten zusätzlich förderte.
Unser Chaoslehrer „Heilbronner“ blieb uns auch noch eine Weile erhalten. Unten im Keller hatten wir „Werkunterricht“ bei ihm. Mal wurde sein Hut an die Wand, mal seine Tasche auf den Hocker genagelt
(von innen). Mit Lehm und Farbe gingen wir auch sehr unsachgemäß um, sogar sein Wohnhaus musste
darunter leiden. Er war froh, wenn viele den Unterricht schwänzten, oder vorzeitig gingen, vorausgesetzt,
die Tür war nicht von außen verschlossen.

In diesem letzten Jahr war auch für die Evangelischen der Konfirmandenunterricht und ein regelmäßiger
Kirchenbesuch angesagt. Wir Untertürkheimer gingen in das Gemeindehaus hinter der Polizeiwache, an
der Ecke zur Strümpfelbacher Straße. Irgendwo dort hinten mussten auch die Damen Scheyhing und
Gneiting gewohnt haben, allerdings war diese Gegend mir relativ fremd. Mein Zahnarzt war auch dort in
der Nähe. Vorne an der Ecke Großglocknerstraße das „Eiserne Kreuz“, ein gutes Speiselokal in welchem
ich manchmal für eine alte Nachbarin (Frl. Rosenacker im Kindergarten ganz oben drin) Essen holen
durfte (für 50 Pfennig Lohn). Allerdings fand ich im Sommer das Schwimmbad, und im Winter einen
Kinobesuch interessanter als jenen öden Konfirmandenunterricht und fehlte demzufolge recht oft. Meine
Mutter befürchtete, dass ich nicht konfirmiert werde, aber der Pfarrer Esslinger war ähnlich gestrickt, wie
unser Lehrer Spranger und hatte Verständnis für die kleinen Sünden.
Im Ort gab es an jeder Ecke einen Bäcker oder Metzger und sehr viele Lokale. Zum Mittagessen ging ich
im letzten Schuljahr immer in den „Hirsch“ beim Bahnhof. Dort traf ich ab und zu auch meinen Vater,
wenn er seinen Kiosk bei der TWS zumachte, um hier auch etwas Warmes zu essen. Unser Supermarkt war
noch der allgegenwärtige „Konsum“. Mit dieser „linken“ Einrichtung konnten Kinder auch ihre Ferien in
der DDR verbringen und später vom vorgegaukelten Überfluss berichten. Mein Friseur, Herr Parrot, war
erst in der Hindelanger Straße und dann später unten in der Oberstdorfer Straße, daneben stand lange noch
eine Ruine. Viel später wurde dort gegenüber im Garten der „Sonne“ das „Sonnentheater“ gebaut, das
kam mir sehr zugute.
|