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Stuttgarter Zeitung, 13.08.1994
Stuttgarts Stadtoberhäupter im Wandel der Zeit

Arnulf Klett: Der 1905 geborene Rechtsanwalt wurde zu einem Glücksfall für die Stadt. Strölin und andere schlugen ihn der französischen Besatzungsmacht als neuen OB vor. Die setzte ihn am 23. April 1945 ins Amt, die amerikanische Besatzungsmacht bestätigte ihn am 8. Oktober 1945. Klett trieb mit Fleiß und Einfallsreichtum den Wiederaufbau voran und prägte das neue Gesicht der im Krieg fast völlig zerstörten Stadt. Klett starb im August 1974 im Amt.

Stuttgarts Oberbürgermeister (9): Arnulf Klett

Zum 20. Todestag von Arnulf Klett

Ein Oberbürgermeister von Format in schwieriger Zeit

Rolf Thieringer, lange Kletts engster Mitarbeiter und später Erster Bürgermeister, erinnert sich an die große Persönlichkeit
Arnulf Klett war schon 14 Tage Oberbürger- meister von Stuttgart, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Die Stadtteile auf der rechten Neckaruferseite waren von amerikanischen, die links vom Neckar, also auch das Zentrum, seit dem 21. April von französischen Truppen besetzt. In dieser amerikanisch- französischen, schwer kriegszerstörten Stadt war der Jurist und Rechtsanwalt Dr. Arnulf Klett am 23. April 1945 von französischen Offizieren als Ober- bürgermeister eingesetzt worden. Als Ernennungs- urkunde diente lediglich ein Zettel.

Nahezu dreißig Jahre war Arnulf Klett Ober- bürgermeister seiner Heimat- und Geburtsstadt. ,,Zum Zweck meiner Geburt hat sich meine Mutter nach Stuttgart begeben", war seine gern gebrauchte Formulierung über die Stadt, in der er am 8. April 1905 geboren worden war. Er hatte also 1945, als aus dem anerkannt mutigen Strafverteidiger der von der Militärregierung in die schwierige Aufgabe des Stadtoberhaupts eingesetzte Treuhänder seiner Bürgerschaft geworden war, gerade erst das für einen Schwaben so wichtige 40. Lebensjahr vollendet. Sein kritisches Urteilsvermögen ließ ihn während des Dritten Reichs nicht zu anpasserischer Gesinnung wechseln, was ihm schon zu Beginn der braunen Diktatur wochenlange Inhaftierung und Schutzhaft auf dem Heuberg einbrachte. Unabhängigkeit im Urteil und aufrechte Haltung prägten ihn als Bürger und machten ihn in der historischen Stunde Null der Stadt zum rechten Mann in unvergleichlich schwieriger Situation. Arnulf Klett versagte sich nicht, er hatte Mut, das Herz auf dem rechten Fleck, nüchterne Vernunft, Energie und Vertrauen zu sich und zu seinen Stuttgartern.

Er packte selbst mit an

Mut nicht vor Königsthronen, wohl aber vor Kommandanten und Militärregierungen war gefragt. Klett war kluger und engagierter Treuhänder und Repräsentant, Anwalt seiner Mitbürger. Er packte selbst mit an, sei es bei der Trümmerbeseitigung, sei es beim allmählichen Neu- und Wiederaufbau seiner Stadt. Er hat der leidgeprüften Stadt wieder Perspektiven eröffnet, ihr Struktur und Profil gegeben. Stuttgart trug die Handschrift Arnulf Kletts, und dies auf Jahrzehnte hinaus - bis heute.

Arnulf Klett war ein Schaffer. Er konnte gut zuhören, aber auch wie Zieten aus dem Busch die zielstrebige Konsequenz ziehen. Mit den meinungsbildenden Mitgliedern des Gemeinderats führte er vor wichtigen und entscheidenden Verhandlungen und Sitzungen intensive Telefongespräche; er hörte auf die Meinung seiner Stadträte. Diese Methode war Grundsatz, schon deshalb, weil Arnulf Klett keine politische, keine parteipolitische Hausmacht hatte.
Er war nie Mitglied einer Partei,
weder vor 1945 noch nachher. Das gab ihm Unabhängigkeit und Freiheit. Bis in die sechziger Jahre hinein war diese parteipolitische Ungebundenheit vielfach ein taktischer Vorteil. Aber im Zuge der demokratischen Entwicklung und der zunehmenden Politisierung öffentlicher Entscheidungen wurde es oftmals zum Problem, nicht zu wissen, wohin er parteipolitisch gehört. Klett betrieb keine Schaukelpolitik. Gelegentlich waren die Grenzen selbst noch so geschickter Taktik und aus Überzeugung kommender Argumentation spürbar. Die aufmüpfige Haltung der 68er-Generation und der damit verbundene politische Stilwandel schwappten ins Rathaus über; gelegentlich war um den parteilosen OB der Hauch politischer Vereinsamung zu spüren.

Klett war ein Initiator. Er mochte das Wort ,,Wiederaufbau" nicht - ,,Neuaufbau" war sein Anliegen, das er sich mit Energie und mitreißendem Temperament zum Ziel machte. Er hielt sein Stuttgart für unschlagbar. Auch für so groß, wirtschaftlich und finanziell stark, dass er eine Flächenvergrößerung oder Konsolidierung nicht für notwendig hielt. Er setzte auf Zweckverbände, wo sich andere Kommunen in der wachsenden Region um Flächenzuwachs sowie Industrie- und Gewerbeansiedlung bemühten. Klett vertraute auf die Wachstumsbotschaften des Anfang der sechziger Jahre eingeholten Prognos-Gutachtens. Er bezahlte sogar an umliegende Städte Wohnungsbauförderung, damit Stuttgarter dorthin wegziehen und ,,Umländer" werden konnten
Gelegentliche kommunalpolitische Naivität aus mitunter allzu vertrauensvollem Glauben an partnerschaftliche Beteiligung nicht nur am Erfolg, sondern auch an den Kosten zentraler Funktionen für die gesamte Region - das hat auch Enttäuschungen verursacht. Stuttgart blieb die einzige große Stadt im Land, ja in der Bundesrepublik, die Anfang der siebziger Jahre bei der Kreis- und Verwaltungsreform beim Status quo blieb, mit Absicht und zum Wohl der übrigen Region Keinen Quadratmeter zugelegt, sich aber immer mehr und immer teurere Aufgaben gestellt.

Stuttgarts Oberbürgermeister galt etwas im In- und Ausland. Viele Organisationen und Institutionen wussten seine Verhandlungsqualitäten und die Integrationskraft zu nutzen. Exzellent war, beispielsweise, seine Initiative für den Ausbau der Landeswasser- und Bodenseewasser-Versorgung in kommunaler Trägerschaft.
Sportlich kam er ins Rathaus. Vor acht Uhr morgens. Im Innenhof stieg er aus, nahm auf der schmalen Freitreppe immer zwei Stufen auf einmal in vergnügten Sprüngen, um im geliebten Paternoster in seinen Residenzstock hinaufzuschweben. Manchmal hat er dort gefrühstückt, nie ohne weichgekochtes Frühstücksei, das er unbarmherzig mit einem gekonnten Messerhieb köpfte und die Eierhaube mitsamt der Kalkschale krachig wie in einer Steinmühle verspeiste. Er hielt das für gesund, weil er die Sympathie zur Homöopathie von seinem Vater ererbt hatte, in deren Konsequenz er, wenn er längere Zeit einmal im Rathaus bleiben konnte, die goldenen oder silbernen Manschettenknöpfe abzog, um der Natur freien Lauf zu lassen.

Ein Manuskriptredner

Arnulf Klett war ein geschätzter Redner. Seine Begriffe waren präzise, sein Wortschatz groß, sein Stil niveauvoll, literarisch fundiert. Er war ein Manuskriptredner. Seine Reden waren sorgfältig vorbereitet, in den Formulierungen zurechtgeschliffen. In Sitzungen des Gemeinderats und Gremien verschiedenster Art fand er das rechte Wort und den rechten Ton; er konnte leidenschaftlich und doch geistig ganz kontrolliert argumentieren, in kritischen Situationen Meinungen formen und Stimmen gewinnen. Bildungsbürger und Jurist, schwäbische Mentalität, Kenntnis der Zusammenhänge und des Details, Blick fürs Ganze und für wichtige Einzelheiten, Bereitschaft und Fähigkeit zum Ausgleich machten ihn in Rede und Verhandlung zum respektierten Partner.

Zu den für ihn wichtigsten und schwierigsten Reden gehörte die alljährliche Rede zur Eröffnung des Cannstatter Volksfestes. Die Sommerferien waren durch die Vorbereitung nicht verdorben, aber doch belastet. Jedes Jahr dieselbe Situation, jedes Jahr die gleichen einheimischen und immer wieder neue Gäste, hoch und nieder, Schwaben, Preußen, Bayern und andere Ausländer, alte und junge, reiche und arme - und jedes Jahr eine originelle, gescheite, fröhliche und vergnügliche Volksfestrede des Oberbürgermeisters. Für das Volksfest war ihm keine Anstrengung und kein Preis zu hoch. Selbst die humorlose Reaktion eines großen Unternehmens, das seinen Sitz aus Stuttgart wegverlegte, nicht zuletzt, weil Arnulf Klett die Eröffnungsrede auf dem Volksfest der Teilnahme an der Hauptversammlung des Unternehmens vorzog, nahm er in schwäbischem Pflichtbewusstsein und traditionsbewusster Dickschädligkeit in Kauf.

Und doch war dieser Arnulf Klett ganz und stets Oberbürgermeister. Mit ganzer Person stand er in seinem hohen Amt und in seiner Würde. Für Besucher und Gäste, für seine Mitbürger und für seine Mitarbeiter war er ,,der" Oberbürgermeister, nach Statur und Habitus, nach Autorität und Ausstrahlungskraft. Und dieser Oberbürgermeister war volkstümlich, in bestem Sinn populär. Ob er bei den unvergesslichen Solituderennen seine schnellen Ehrenrunden fuhr; ob er im Sommer zusammen mit Stadträtinnen und Stadträten seine Waldheimbesuche machte und sich dann als wirklicher Stadtvater in die fröhlichen Spiele der Kinder einfügte; ob er getreulich zur diamantenen und eisernen Hochzeit oder zum hundertsten Geburtstag persönlich gratulierte; ob er bei seiner städtischen Polizei oder Feuerwehr war; ob er über den Wochenmarkt ging und als ,,größter Bauernschultes" der Bundesrepublik fachkundigen Meinungsaustausch in unverfälschtem Schwäbisch pflegte; ob er Ibn Saud oder Konrad Adenauer, Queen Elizabeth oder Charles de Gaulle begrüßte - immer war er der selbstsichere, würdige Repräsentant seiner Bürger und seiner Stadt. Von französischer und amerikanischer Militärregierung eingesetzt und bestätigt, 1946 vom Gemeinderat und sodann 1948, 1954 und 1966 von den Bürgern zum Oberbürgermeister gewählt und wiedergewählt - demokratische Stahlbäder, die seine Qualitäten, seine Beliebtheit, seine Verdienste bestätigen.

Keiner war länger im Amt

Seitdem die württembergische Verfassung von 1819 den Gemeinden die Selbstverwaltung zuerkannt hatte, war Arnulf Klett in der Reihe der Stadtschultheißen, die den Titel Oberbürgermeister bis zu Karl Lautenschlager vom König verliehenbekommen haben, der neunte. Keiner hat das Amt länger ausgeübt. Es ist sicher, dass er im 19. und 20. Jahrhundert die längste Amtszeit aller Vorgänger und Nachfolger gehabt hat: im 30. Amtsjahr, im 70. Lebensjahr, ist er auf der Bühler Höhe an Herzversagen und Lungenembolie am 14. August 1974 gestorben.

Er hat eine Epoche geprägt. Es war und bleibt seine Ära - die Ära Klett.
Dieser Mann hatte klare Ziele vor Augen. So auch für die siebziger Jahre. Seine Amtszeit wollte er 1977 mit der dritten Bundesgartenschau und einem funktionierenden öffentlichen Nahverkehr abschließen. Gefreut hat er sich auf eine Weltreise Ende der siebziger Jahre. Bei seinen Stuttgartern ist er unvergessen. Klett bleibt ein herausragendes Kapitel Stadtgeschichte.

Stuttgarter Zeitung, 03.03.2001

Das erstaunliche Leben des Großstadtschultes Arnulf Klett

Landeskundler Paul Sauer schreibt die erste Biografie über den legendären Stuttgarter Oberbürgermeister der Nachkriegszeit

Auf dem stadtgeschichtlichen Buchmarkt wird eine kuriose Lücke geschlossen. Erst 27 Jahre nach dem Tod des berühmten Oberbürgermeisters Arnulf Klett erscheint jetzt die erste Biografie. Der Historiker Paul Sauer hat dessen Lebensweg von 1905 bis 1974 minutiös erkundet.

Von Thomas Borgmann

Jetzt, wo das Versäumte endlich nachgeholt worden ist, muss man es selbstkritisch sagen: Im Rathaus und in den Kreisen der geschichtsbewussten Bürgerschaft ist das Andenken an den kleinen rundlichen Herrn mit der unvermeidlichen Fliege und den knitzen Augen stets in hohen Ehren gehalten worden, aber fast drei Jahrzehnte lang ist niemand auf die Idee gekommen, das spannende Leben dieses parteilosen Demokraten zu erforschen und aufzuschreiben.

Dem erfahrenen Professor Paul Sauer und dem Bleicher-Verlag in Gerlingen gebührt das Verdienst, die legendäre Figur Arnulf Klett vor dem Vergessen bewahrt zu haben. Unter dem Titel "Ein Leben für Stuttgart" ist ihnen mehr geglückt als nur eine Biografie: eine Stuttgarter Stadtgeschichte, maßgeblich beeinflusst von einem Mann, der zur rechten Zeit am rechten Platz war. Sein Fleiß und sein Mut, seine Glanztaten, aber auch seine Fehler und Irrtümer - alles lässt sich zum ersten Male nachlesen und nachvollziehen.

Paul Sauers profunde Kenntnis der württembergischen Geschichte und die Bereitschaft von Kletts Nachfahren, dem Autor ihre Familienalben zu öffnen, haben das Buch überhaupt erst möglich gemacht. Arnulf Klett stammte aus einer altwürttembergischen, evangelischen Handwerker-, Bauern- und Pfarrersfamilie. Geboren am 8. April 1905 - übrigens zufällig in Stuttgart -, erlebte er die entscheidenden Jugendjahre in Nürtingen, Stuttgart und später beim Jurastudium in Tübingen. 1930 ließ er sich als junger Anwalt in Stuttgart nieder.

Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war der junge Mann aus dem württembergischen Protestantismus zur Stelle, um den Verfolgten und den Drangsalierten mutig beizustehen. Bereits im Herbst 1933 musste Arnulf Klett seinen selbstlosen Einsatz mit vier Wochen "Schutzhaft" im KZ auf dem Heuberg büßen. Trotzdem blieb er ein beharrlicher Nazigegner, stets von ihnen bedroht und bespitzelt.

Auf Grund von bisher unbekannten Gerichts- und Prozessakten, die jetzt zugänglich sind, hat der Biograf Paul Sauer rund zwei Dutzend Einzelfälle herausgearbeitet, aus denen das Wirken von Arnulf Klett während des "Tausendjährigen Reiches" im Detail ersichtlich wird. In seiner Rückschau staunt der Autor selbst darüber, wie es kommen konnte, dass dieser eigensinnige schwäbische Rechtsanwalt für den "Rest" des Dritten Reiches so wenig behelligt wurde. Stuttgarts Nazigrößen scheuten sich offenbar, den populären Klett, der enge Kontakte zum evangelischen Widerstand besaß, existenziell anzugreifen. Folgerichtig gehörte er am 22. April 1945, dem Tag, an dem Stuttgart kampflos vor den Franzosen kapitulierte, zum kleinen Kreis der Männer, die für das Amt des künftigen Oberbürgermeisters überhaupt in Frage kamen. Damals stellte Klett sich öffentlich mit den berühmten Worten vor: "Ich habe gerade das Schwabenalter erreicht. Ich bin stets ein Mann der Tat gewesen."

Klett 1954 in UntertürkheimWas danach geschah, ist weithin bekannt: Klett stellte sich mit Leib und Seele in den Dienst seiner Stadt; er wurde zum Motor des Wiederaufbaus und führte Stuttgart aus Trümmern, Hungersnot und Wohnungsmangel in das Wirtschaftswunder der späten fünfziger und der sechziger Jahre. Von der Bürgerschaft verehrt, ja sogar geliebt und stets wiedergewählt, leistete sich Klett aber auch so manchen Schnitzer: Der Bürkle-Skandal, bei dem er einem Bekannten einen Kredit verschaffte, der im Konkurs verloren ging, führte zu einem spektakulären Prozess und einer hohen Geldstrafe.

Auch die Teppichaffäre um eine ihm von Daimler-Benz geschenkte Orientbrücke sorgte damals für Schlagzeilen. Doch das alles und auch die Tatsache, dass Klett zeitweise einen Porsche als Dienstwagen fuhr, tat seiner Popularität keinen Abbruch. Die Bürger waren stolz auf "Deutschlands größten Bauern- und Wengerterschultes", als den er sich selbst so gerne bezeichnete.

Die politischen Turbulenzen des Jahres 1968 und seine Folgen drängten den parteilosen Kommunalpolitiker jedoch mehr und mehr in die Isolation. Die außerparlamentarische Opposition war ihm suspekt, die Demonstrationen und die scharfe Politisierung der Kommunalpolitik sah er mit Misstrauen und Unverständnis. Gleichwohl schonte er sich nicht. Im aufreibenden Tagesgeschäft ruinierte er letztlich seine Gesundheit. Während eines Kuraufenthalts auf der Bühler Höhe ist er am 24. August 1974 gestorben.

Paul Sauers faktenreiche Biografie glänzt vor allem dort, wo es um den familiären Hintergrund, die Jugendjahre und das Dritte Reich geht. Bei der Beurteilung des Menschen Arnulf Klett mit all seinen Stärken und Schwächen hält sich sein Biograf hingegen deutlich zurück. Sauer wollte dem legendären Oberbürgermeister offenkundig nicht zu nahe treten. Trotzdem ist sein Buch eine Pflichtlektüre für alle, die Interesse haben an der Geschichte Stuttgarts im zwanzigsten Jahrhundert.

Paul Sauer: "Arnulf Klett - Ein Leben für Stuttgart",
331 Seiten, Bleicher-Verlag, Gerlingen, 39,80 Mark.

Stuttgarter Zeitung, 12.07.2000

Baumeister Karl Gauss und die Zeit des Wiederaufbaus

Der letzte Baumeister des Nachkriegs-Stuttgart ist tot - Ein Trio mit Arnulf Klett und Walter Hoss

Erst kürzlich ist er gestorben: Karl Gauss, 91 Jahre alt, Technischer Referent im Rathaus zwischen 1955 und 1970. Gemeinsam mit OB Arnulf Klett und Baubürgermeister Walter Hoss hat er den Stuttgarter Wiederaufbau angekurbelt und gestaltet - das wirkt bis heute nach.

Von Thomas Borgmann

Als Karl Gauss im Oktober 1970 wegen seiner angeschlagenen Gesundheit vorzeitig in Pension ging, gab es zu Recht allerhöchstes Lob.

Seine Leistungsbilanz war erstaunlich:
100 Schulen, 24 Turn- und Versammlungshallen, drei Hallen- und fünf Freibäder, dazu Krankenhäuser, Straßen, Kläranlagen, Stadtbahntunnels, der Neckarhafen und die Bundesgartenschau 1961 - das alles hatte er zu verantworten gehabt.

Gauss war Chef des Hochbau- und des Tiefbauamtes gewesen, der Stadtreinigung, der Stadtvermessung und des Gartenamts. Zwei Milliarden Mark hatte Stuttgart in seiner Ära investiert - eine für damalige Verhältnisse gigantische Summe, die im Vergleich zu heute dem fünf- oder gar dem Zehnfachen entspricht.

Kein Zweifel, dieser Karl Gauss war einer von drei Männern mit zentraler Bedeutung für den Wiederaufbau der fast völlig zerstörten Stadt. Der legendäre OB Arnulf Klett, sein eigenwilliger und viel kritisierter Baubürgermeister Professor Walter Hoss und eben der loyale, vom Geist der Pflichterfüllung geprägte Karl Gauss - sie bildeten ein Führungstrio, dem der Gemeinderat nur wenig entgegenzusetzen hatte. Alle drei waren nicht in der Parteipolitik verankert, sondern sahen sich als überparteiliche Gestalter. Sie wirkten, quasi rund um die Uhr, unter dem gemeinsamen Motto: Wir lassen die dunklen Zeiten hinter uns, wir geben der Stadt ein neues Gesicht, wir planen die autogerechte Metropole von morgen. Wörtlich nannten sie das damals "die fortschrittliche, gediegene Baugesinnung unserer Zeit und unserer Stadt".

Karl Gauss hatte in diesem Trio eine Sonderrolle: Schon 1945, kurz nach der Kapitulation, hatte Klett den in Holland geborenen schwäbischen Bauingenieur ins Rathaus geholt, um das Instandsetzungsamt zu leiten, später das Bauförderungsamt. Das war eine schier übermenschliche Aufgabe, denn es galt, Millionen Tonnen von Schutt und Trümmern aus der Ruinenstadt zu schaffen. In diesem Bemühen entstand der berühmte "Monte Scherbelino" über dem westlichen Stadtgebiet. Stuttgart meldete sich als erste deutsche Großstadt "trümmerfrei".

Danach begann sofort der eigentliche Wiederaufbau. Und den verfolgte das machtvolle Trio im Rathaus mit rabiatem Vorwärtsdrang: In den fünfziger und sechziger Jahren wurde mehr historische Bausubstanz abgerissen, als der Bombenhagel im dramatischen Sommer 1944 zerstört hatte. Die Hohe Carlsschule fiel diesem Sendungsbewusstsein ebenso zum Opfer wie das Alte Steinhaus bei der Stiftskirche, das Kronprinzenpalais am Schlossplatz, die Salucci-Reithalle bei der Oper oder das Kaufhaus Schocken an der Eberhardstraße, um nur weniges zu nennen. Klett, Hoss und Gauss schufen damals die Schneise der Hauptstätter Straße, den Durchstich der Torstraße zum Rotebühlplatz, ebenso die Theodor-Heuss-Straße und, vor allem, den so genannten Planiedurchbruch. Gerade in dessen Gefolge entstand der Kleine Schlossplatz - und mit ihm die Probleme, die noch immer ungelöst sind. Jetzt, im Jahr 2000, besteht mit dem Neubau der städtischen Galerie am Kleinen Schlossplatz die Chance, die vor vierzig Jahren begangenen Fehler zu korrigieren. Vieles andere aber, was im Überschwang des Wiederaufbaus falsch gemacht worden ist, lässt sich auch heute nicht mehr kaschieren oder korrigieren.

Nur in ganz wenigen Fällen, vermochten sich Klett, Hoss und Gauss nicht durchzusetzen. Das bekannteste Beispiel ist wohl das Neue Schloss, dessen Wiederaufbau in den fünfziger Jahren höchst umstritten war. Weil nur noch die Außenmauern standen, verfolgte man im Rathaus zunächst den Abbruch. Doch dann formierte sich der Widerstand der Bürgerschaft, gestützt von namhaften Architekten und der lokalen Presse. Es wurde die schwerste Niederlage für das Trio.

Walter Hoss, den drängendsten der drei, traf sie wohl am härtesten. Als langjähriger Leiter der "Zentrale für den Aufbau der Stadt", kurz ZAS genannt, wollte er dem zerstörten Stuttgart ein völlig neues Gesicht geben. In den Trümmerbergen und im politischen Zusammenbruch von 1945 sah er, der 1947 ins Rathaus gekommen war, quasi ein Fanal zur grundlegenden geistigen Wende: Das neue, von den Nazis geläuterte Deutschland sollte gerade in der Architektur und im Städtebau sichtbar werden.

In der Rückschau sind Arnulf Klett, Walter Hoss und der jetzt als Letzter von ihnen hochbetagt verstorbene Karl Gauss häufig kritisiert worden bis in die jüngste Zeit hinein. Diese Kritik ist berechtigt - und ungerecht zugleich. Denn die drei Männer - und mit ihnen viele andere - handelten damals aus den Erfahrungen der Vergangenheit heraus. Die geradezu explosionsartige Motorisierung mit all ihren Folgen, die schweren Belastungen der Umwelt und die wachsenden Probleme des Ballungsraumes konnten sie nicht vorhersehen. Walter Hoss schied 1965 aus dem Amt, Karl Gauss ging 1970 in den Ruhestand und Arnulf Klett starb 1974 als amtierender Oberbürgermeister.

Stuttgarts Stadtoberhäupter im Wandel der Zeit

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