Stuttgarts Oberbürgermeister feiert am Sonntag 5.9.1999 einen runden Geburtstag -
Viele Probleme auf dem Weg ins nächste Jahrhundert
Für eine Bilanz seiner Arbeit ist es noch zu früh. Erst knapp drei Jahre steht Wolfgang Schuster an der Spitze des größten Rathauses im Land. Nach Erfolgen wie der Bankenfusion häufen sich die Probleme: Stuttgart21 und die Messe wanken - kann er die Lage meistern?
Von Thomas Borgmann
Stuttgarts Stadtoberhaupt ist ein Musterschüler mit einer bemerkenswerten Karriere: Der gebürtige Ulmer hat Jura und Staatswissenschaft studiert, war an der Pariser Eliteuni "Ecole nationale d'administration", hat promoviert und sich mit internationaler Politik befasst. 1975 wurde er jüngstes Ratsmitglied seiner Heimatstadt. Später war er Referent von Hans Filbinger im Staatsministerium - der Kaderschmiede des CDU-Nachwuchses.
1980 begann Wolfgang Schusters Laufbahn im Stuttgarter Rathaus. Manfred Rommel machte ihn zu seinem Referenten. Fünf Jahre später (1985) zog er (mit 55,7 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang) als neuer OB in Schwäbisch Gmünd ein. Mit dem festen Ziel, Manfred Rommel zu "beerben", kehrte er 1992 nach Stuttgart zurück, wurde Bürgermeister für Kultur, Bildung und Sport.
Als es 1996 um Rommels Nachfolge ging, erlebte Schuster schwierige Zeiten - ein Wechselbad seiner persönlichen und politischen Gefühle: Teile seiner Partei hatten in ihm zunächst keineswegs den idealen Kandidaten gesehen. Er kämpfte verbissen um seine Chance, boxte sich durch und gewann die am Ende dramatische Wahlschlacht gegen den populären Grünen Rezzo Schlauch.
Wolfgang Schuster, hoch intelligent, gebildet, ein Kopfmensch und brillanter Theoretiker, war auf Straßen und Plätzen an seine physischen Grenzen gegangen. Im Umgang mit dem Mann auf der Straße zeigte sich, dass er kein geborener Wahlkämpfer ist, auch kein Parteimensch. Populismus oder gar Demagogie sind ihm ein Gräuel. So richtig volkstümlich wird er wohl nie werden.
Wer dem schlanken und jungenhaften Fünfziger begegnet, der spürt: Das Wahljahr 1996 hat ihn tiefer geprägt, als er es selbst wahrhaben will. Unter dem Motto "Gesagt - getan!" hat er sich enormen Erwartungsdruck und Erfolgszwang auferlegt. Möglichst viel, möglichst rasch, möglichst auf höchstem Niveau. Dieses Tempo und die unvermeidlichen Rückschläge haben bereits Spuren hinterlassen. Schuster wirkt verletzlich, mitunter misstrauisch, ja sogar nachtragend. Das ist kein typischer Schultes, kein Schlitzohr, kein knitzer Schwabe. Das ist ein konservativer Intellektueller, der weit über seine Stadt hinaus zu denken vermag, ohne selbst nach höheren Ämtern und Ehren zu streben.
Nichts verunsichert ihn mehr als Leute, die seinen Ideen, Gedanken und Entwürfen nicht folgen können oder nicht folgen wollen. Ob vor der Bürgermeisterrunde oder vor dem Gemeinderat - der OB sieht sich als Chef, nicht als Moderator. Die Stabsstelle, die er sich eingerichtet hat, ist keine Denkfabrik, sondern (nur) ein Büro, das ihm im Tagesgeschäft zuarbeitet und Lücken schließt, die Ressortbürgermeister oder Amtsleiter gelassen haben. Dieser Mann, schwer zu überzeugen, verlässt sich am liebsten auf sich selbst. Vergleiche mit seinem Vorgänger sind müßig und unfair zugleich: zwei Generationen, zwei Lebensläufe, zwei verschiedene Menschen.
Mit der komplizierten Bankenfusion hat der OB sein "Gesellenstück" gemacht. Sie war der Höhepunkt seiner bisherigen Amtszeit, durchaus eine historische Leistung. Die Galerie am Kleinen Schlossplatz hat er auf den Weg gebracht - ein Kulturprojekt, das der Stadt bestens zu Gesicht steht. Die Wirtschaftsförderung hat neue Impulse erhalten, der Standort kommt endlich aus der Talsohle.
Doch im Rathaus wachsen die Probleme. Stuttgart21 und die Messe sollten das "Meisterstück" geben, dazu die Bibliothek21 und manches mehr. Das alles wankt - und Wolfgang Schuster leidet. Die nächsten Wochen und Monate werden entscheidend sein: Am 24. Oktober 1999 könnte ihm die Ratswahl eine "bürgerliche Mehrheit" bringen und vieles erleichtern. Aber das neue Jahrhundert naht voller Unwägbarkeiten. Wird Wolfgang Schuster es schaffen, seiner Stadt neue Ziele zu setzen, neue Wege zu weisen? Wird er an seiner Aufgabe persönlich reifen, sich wandeln, offener werden? Ihm und Stuttgart wär's zu wünschen. Mit fünfzig muss er einen neuen Anfang wagen.