In der amtlichen Chronik der Stadt Stuttgart für 1909 ist
zu lesen:
Im Berichtsjahr sind im Zusammenhang
mit der Eröffnung zweier neuer
Schulgebäude zwei neue Schulkomplexe gebildet worden, einer in
der Lerchenrainschule zunächst mit 16 Klassen und einer im Neubau
Untertürkheim=Wangen
mit 13 Klassen. - Die Zahl der katholischen Volksschulklassen ist
von 60 auf 64 gestiegen.
Die Einweihung der beiden neuen Schulgebäude
wurde am 21. April vorgenommen, um 9 Uhr die des Sammelschulgebäudes
zwischen Untertürkheim
und Wangen, um 11 1/2 Uhr die der Lerchenrainschule in Heslach.
Unter den Mitgliedern der bürgerlichen Kollegien, die den Feiern
anwohnten, befanden sich Gemeinderat Dr. Ludwig und Bürgerausschußobmann
Dr. Erlanger. Ersterer übernahm in beiden Fällen in Vertretung
des Oberbürgermeisters die Schulgebäude in den Besitz der
Stadt, unter Worten des Dankes an alle, die an den der Ausführung
der Bauten mitgewirkt hatten. Den Dank an die Stadtgemeinde für
die Erstellung dieser musterhaften Schulgebäude stattete der
Bezirksschulinspektor Stadtpfarrer Eisele ab.Die Untertürkheimer
Schule, die sog. „Lindenschule“,
enthält 32 Schulsäle, zwei Zeichen= und zwei Handarbeitssäle,
die nötigen Lehrer= und Lehrmittelzimmer, ein Schülerbad
mit Auskleideraum, einen Frühstücksabgaberaum, eine Hausmeisterwohnung
und die sonstigen erforderlichen Nebenräume.
Die Lüftung der Schulräume erfolgt zum erstenmal in ausgedehntem
Maße nach dem System „Schreider“. Der Bau ist ein
freundlicher Putzbau, der sich in die Neckarlandschaft gut einschmiegt
und gegen Wangen mit einem Dach= und Turmaufbau geschmückt ist.
Ein besonders reizendes Bild bietet die Schule mit der mächtigen
alten Linde und dem dabei an einer Terrasse angelegten Trinkspringbrunnen.
Der Entwurf rührt von Stadtbaurat Pantle her, in dessen Händen
auch die Oberleitung lag; er wurde dabei von den Mitarbeitern Architekt
Ammon und Regierungsbaumeister Remppis unterstützt. Die örtliche
Bauleitung besorgte Bauwerkmeister Seubert. Der Bauaufwand betrug für
die ausgebaute Schule (ohne Mobiliar) rund 500 000 Mark.

Lindenschule neuerbaut 1910
noch mit der alten Linde im Schulhof
In den Volksschulen der Stadt Stuttgart wurden zu dieser Zeit 15.902
Schüler und Schülerinnen in evangelisch und 2.928 in katholisch
geführten Klassen unterrichtet.
Die Lindenschule teilte sich auf in eine evangelische Volksschule,
die unter der Leitung von Rektor Kießling stand, und die katholische,
die von Oberlehrer Wälder betreut wurde, sie sollten die aufblühenden
Nachbarorte enger zusammenschließen. Später wurde noch eine Hilfsschule mit
eingegliedert.
Obwohl bei ihrer Einweihung 1909, mehr als 600 Kinder aus beiden Orten
in 13 Klassen in der neu erbauten Lindenschule Unterkunft fanden, verblieben
allein in Untertürkheim 700 Knaben und Mädchen in den bereits
bestehenden, örtlichen Schulen.
Gegenüber ihren Wangener Klassenkameraden und Kameradinnen, deren
gefahrloser Schulweg durch Gärten und Felder führte, sahen
sich die Untertürkheimer Schülerinnen und Schüler in der
schlechteren Lage. Sie mussten einen durch Schranken geregelten Bahnübergang
passieren, der aber oftmals geschlossen war, und sie zwang, einen unwirtlichen
Weg durch eine enge Fußgängerunterführung zu nehmen,
um zur Brücke über den Neckar zu gelangen.

Die Straßenbahn aus Wangen fährt ab 1910 bis zur Lindenschule
(Endstation)
Durch das Gesetz vom 17. August 1909 entfiel die geistliche Schulaufsicht.
Oberlehrer Staiger wurde zum ersten Rektor der nunmehr 14-klassigen
Schule ernannt und 1913 von Rektor Gottfried Mast abgelöst, der
das Amt bis 1919 weiter führte. In den Jahren des Ersten Weltkriegs
kamen die Schulklassen zum Sondereinsatz. So waren sie u.a. unterwegs
von Haus zu Haus, um mit dem Pritschenwagen altes Papier und alte Bücher
einzusammeln und an die dafür
zuständige Stellen abzuliefern.
Nach Kriegsende übernahm Lehrer Matthäus die Rektorstelle,
die dann im Jahre1924
Georg Frecht übertragen wurde. Frecht war der erste Rektor im
Ort, mit akademischer Ausbildung. Sein Nachfolger wird am 1. April
1929, Hermann Kling, der bis dahin das Rektorenamt in Lorch innehatte.
Der finanzielle Jahresaufwand der Stadt Stuttgart betrug für das
gesamte Schulwesen 1913/14 1,8 Millionen Mark, davon entfielen allein
1,435 Millionen auf die kommunalen Volksschulen. In 922 Klassen aller
Schularten wurden in diesem Unterrichtsjahr, 37.688 Schüler unterrichtet.

Untertürkheim Lindenschule mit
alter Linde, ca 1914
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurden auch zahlreiche Lehrer aus der
hiesigen Region zum Fronteinsatz berufen. In der Konsequenz kam es zu
einem bedenklichen Lehrermangel. Die Unterrichtsqualität ließ nach,
zudem die Untertürkheimer Wilhelmsschule teilweise zu einem Militärlazarett
umfunktioniert wurde und dadurch ein Teil der Klassen in der Lindenschule
einquartiert werden mussten.
Aus Sicherheitsgründen musste 1915 die inzwischen altersschwach
gewordene,
ca. 255 Jahre alte Linde im Schulhof gefällt werden. Damit verschwand
das Wahrzeichen der Schule, doch der Name „Lindenschule“ blieb
bis heute erhalten.
Obwohl die für Lazarett- und Kasernierungszwecke beschlagnahmten
Gebäude für den Schulbetrieb bereits im Februar 1919 wieder
zur Verfügung standen; blieben die Stuttgarter Schulverhältnisse
noch lange im Zeichen der Kriegsnöte. Auf Jahre hinaus fehlte es
an den notwendigsten Lernmitteln, an Papier für Bücher und
Hefte, und im Winter mangelte es selbst an Heizmaterialien, um die Unterrichtsräume
zu erwärmen. Die Kohlennot führte oft genug zum gänzlichen
Ausfall des Unterrichts. Der Nachteil dieser von der Schuljugend wohl
freudig begrüßten „Kohlenferien“ machte sich
allerdings hinterher in den Lernergebnissen negativ bemerkbar.
In der Weimarer Epoche schaltete sich in die bisherige Kulturhoheit
der alten Bundesstaaten, die Reichsverfassung von 1919 durch tief greifende
Maßnahmen spürbar, mit ein.
Am 28. April 1920 trat das Reichsschulgesetz in Kraft, das für alle
Schüler unterschiedslos den vierjährigen Grundschulbesuch vorschrieb.
Nach einer sehr langen Planungs- und Bauzeit konnte 1924 das neue Neckarbett
geflutet werden. Der Neckar floss nun zwischen dem Lindenschulviertel
und Wangen talabwärts.
Die Lindenschule machte damit eine merkwürdige Wandlung durch: Ohne
dass ein Stein bewegt, stand sie plötzlich nicht mehr auf der linken,
sondern auf der rechten Seite des Neckars. Ab jetzt müssen nun nicht
mehr die Schüler und Schülerinnen aus Untertürkheim über
die Neckarbrücke zum Schulunterricht, sondern die Wangener Kinder.
Schüler und Schülerinnen der oberen Neckarregion die eine
höhere Schule besuchen wollten, mussten zu der Zeit nach Cannstatt,
Stuttgart oder auch Esslingen. Umso stärker wurde der Wunsch nach
einer lokalen Realschule. Entgegenkommend erwies sich dabei der bevorstehende
Eingemeindungsvertrag zwischen Stuttgart und Obertürkheim (1. April
1922), in dem die Obertürkheimer Bürger mit der Eingemeindung
u.a von der Stadt Stuttgart. die Errichtung einer höheren Schule
für die Neckarvororte ausbedungen.
Im Erlass vom 9. Februar 1925 stimmte die Ministerialabteilung für
höhere Schulen dem Plan einer solchen Vorortsschule zu, und bereits
am 15. April 1925 wurde die Gründung einer Realklasse verfügt.
Die Schulleitung wurde Oberreallehrer Walz übertragen.
Am 21. April begann für 45 Schüler der erste Schultag. Die
neue Realschule war in den Räumen der Lindenschule untergebracht.
Ein Jahr später gab es bereits zwei Klassen mit zusammen 77 Schülern,
1927 waren es 108 Jungen und sieben Mädchen(!) und 1928 138 Schüler
und 17 Schülerinnen.
Untertürkheim war damit in der Gemeinschaftserziehung von Knaben
und Mädchen in Schulen und Internaten und der Förderung von
Mädchenbildung, trotz des zahlenmäßigen Ungleichgewichts,
seiner Zeit voraus.
Die Aufnahmeprüfung für die Realschule war sehr streng, sie
zog sich über mehrere Tage hin und umfasste schriftliche und mündliche
Prüfungen in Deutsch und Mathematik. Zudem folgte nach der Einschulung
eine Probezeit. In der einen Klasse befanden sich hauptsächlich
evangelische Schüler aus Untertürkheim, die andern Klassen
setzten sich vor allem aus Jungen und Mädchen zusammen, die dem
katholischen Glauben angehörten oder „Freikirchler“ waren.
Die Schüler und Schülerinnen saßen hintereinander in
Doppelbankreihen.

Lindenschule um 1920 - ohne Linde
Bald wurden weitere Schulräume benötigt und so wurde ein
Neubauprojekt beschlossen als Anbau, entsprechend dem Stil der Lindenschule.
Das neue Schulhaus konnte am 24. April 1930 eingeweiht werden. An den
damit verbundenen Feierlichkeiten nahmen u.a. Oberbürgermeister
Dr. Lautenschlager, Bürgermeister Dr. Ludwig, Präsident Bracher,
eine große Anzahl von Gemeinderäten, die gesamte Lehrerschaft
sowie zahlreiche Schüler und Eltern teil. Der Neubau verfügte über
fünf helle und luftige Klassenzimmer, Physik- und Fachräume.
Neu war für diese Zeit, die ungewöhnliche Möblierung
der Klassenräume, die nicht mehr aus fest eingebauten Schulbänken
bestand, sondern bei der lose Tische und Stühle Verwendung fanden.
Gleichzeitig konnte eine neue Turn- und Festhalle in Betrieb genommen
werden. Sie entstand innerhalb von nur 10 Monaten, nach dem Entwurf
von Baudirektor Cloos vom Städtischen Hochbauamt. Der neue Gebäudekomplex
schmiegte sich harmonisch an die bereits 1899 erbaute alte Gemeindeturnhalle
an. Wesentliche Verdienste erwarb sich Oberingenieur Wandel um die Einrichtung
und den Ausbau der Realschule, er war Vorsitzender des Elternvereins.

Anbau fürs Gymnasium und Obeschule-Turnhalle von 1930
1980: Abriss der beiden alten Turnhallen, Baubeginn der Sporthalle und
Schulerweiterung
1931 verließen die ersten Schüler mit der mittleren Reife
die Schule, die von
Oberstudiendirektor Mohr von der Stöckach-Realschule als Schulvorstand
geleitet wurde. 1931/32 wurde die Untertürkheimer Lehranstalt
selbstständig.
Studiendirektor Kloth übernahm die Leitung der Lehranstalt am
14. April 1932. Er begleitete das Amt bis 1945.
Mit der Machtergreifung
durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 kam es auch im Schulalltag
zu entscheidenden Veränderungen. Lehrpläne
wurden neu erstellt und die Lehrkräfte mussten sich den von Kultusminister
Christian Mergenthaler herausgebrachten Leitsätzen anpassen.
Am 13./14. Mai 1933 verlangten der württembergische Ministerpräsident
und Kultusminister Mergenthaler sowie der bayrische Kultusminister Schemm,
Reichsführer des NS-Lehrerbundes, auf einer Kundgebung „zum
Tag der deutschen Erziehung“ im Großen Haus in Stuttgart,
die Einheit aller Schulen und die Einheitlichkeit des Erziehungswesens.
Im Juli 1933 wurde an den Schulen der „Hitler-Gruß“ eingeführt
und in den Schulzeugnissen stand nun gegebenenfalls unter der Rubrik „Gesamturteil“,
an erster Stelle der Vermerk: „Der Schüler ist Mitglied der
HJ“ (HJ = Hitlerjugend)!
Gleich mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde auch die Lindenschule
in die Kriegskonzeption mit einbezogen. Ein Teil des Gebäudes wurde
vom Wirtschaftsamt der Stadt Stuttgart belegt und der andere Teil von
der Wehrmacht und der SS u.a. als Depot für Lazarettausstattungen
beschlagnahmt.
Die jungen, männlichen Lehrkräfte wurden zum Kriegsdienst
eingezogen, und die Schulklassen mussten in den „alten“ Schulen
von Untertürkheim und Wangen
untergebracht werden. Ältere, bereits pensionierte Lehrer, wurden
wieder in den Schuldienst aufgenommen, sie mussten den Unterricht weiter
führen.
Die Luftangriffe auf Stuttgart nahmen zu, die Menschen waren dadurch
immer stärker gefährdet, und der Schulunterricht konnte nur
noch in durch Fliegerbomben stark geschädigten Schulräumen
abgehalten werden. Lebensmittel, Kleidung und Heizmittel wurden knapp
und fast jede Nacht heulten die Luftschutzsirenen. Väter und Brüder
waren auf den Kriegsschauplätzen im Einsatz.

Der neue Neckar um 1930
Die Verwaltung der Stadt Stuttgart entschloss sich 1943/44 den Schulbetrieb
in Stuttgart ganz einzustellen und die Schulen zu schließen.
Die Klassen wurden im Zuge der Kinderlandverschickung, zusammen mit
den Lehrkräften
ins Hohenloher Land, in den Schwarzwald und auf die Schwäbische
Alb evakuiert und die Kinder dort bei örtlichen Familien untergebracht.
Am 1. Oktober 1945 konnte in dürftig wieder instand gebrachten
Unterrichtsräumen, der Schulbetrieb für 500 Kinder wieder aufgenommen.
Lehrkräfte, die politisch belastet waren wurden suspendiert. Neben
dem Unterricht, kam es auch zu Hilfseinsätzen bei der Beseitigung
von Bombenschäden am Schulgebäude. Der tägliche Schulweg
nach Untertürkheim führte für viele Wangener Kinder über
einen Behelfssteg, der anstelle der am 21. April 1945 gesprengten Neckarbrücke,
errichtet wurde.
Mit der Wiederaufnahme des Schulbetriebs wird Dr. Aich als Oberstudiendirektor
zum Nachfolger von Ludwig Kloth gewählt. Er unterrichtete bereits
schon seit 1928 an der Lehranstalt.
Die Lehrerschaft musste improvisieren. Den Lehrstoff konnten sie nur
aus Lernmitteln entnehmen, dessen Erstellung vor 1933 datierte. Bücher
und Publikationen, die auf dem Dachboden der Lindenschule lagerten, wurden
nach ihrem Erscheinungsdatum - vor oder nach - 1933 und unter Berücksichtigung
entsprechender Autoren, aussortiert.
Die französische Militärregierung ernannte am 13. Juni 1945
Professor Dr. Carlo Schmid zum Landesdirektor für Kultur und Unterricht,
noch bevor die Amerikaner eine Landesregierung einsetzte, in der dann
Professor Dr. Theodor Heuss das Kultusministerium übernahm. Unter „strenger“ Überwachung
des legendären Hausmeisters
Noppels, wurde während der Großen Pause im Untergeschoss
des Schulgebäudes die Hooverspeisung ausgegeben, die von der Amerikanern
finanziert wurde .
Kohlemangel zwang die Schulbehörde im Winter 1946/47 den
Unterricht an allen Schulen einzustellen. Erst Mitte März konnte
der normale Schulbetrieb wieder aufgenommen werden.
Von Beginn des Schuljahrs 1948 an wurde die Oberschule in Untertürkheim
von der Vollanstalt im Aufbau zur „Wirtemberg-Oberschule“ umbenannt. In
21 Klassenräumen wurden 1733 Schüler in 36 Klassen
von 35 Lehrkräften unterrichtet.
1955 kam es zum Beschluss, in Untertürkheim eine Mittelschule zu errichten. Dabei erwies sich das Lindenschulgebäude für
dieses Vorhaben als besonders geeignet.
Die große Zahl der angemeldeten Schüler und Schülerinnen
(63+25), für die erste Klasse, machten es gleich zum Anfang erforderlich,
das Schuljahr mit zwei Parallelklassen zu beginnen.
Gleichzeitig wuchsen durch diese Entwicklung jedoch auch die
Raumprobleme der anderen drei, im Lindenschulgebäude untergebrachten
Schulen.
1959 erfolgte die Aufhebung der Linden-Volksschule durch den
Ortsschulrat Stuttgart nach 50 Jahren Bestand. Mit dem Ausbau zur zweizügigen
Mittelschule gab es nun ab dem 1. April 1960 eine selbständige „Mittelschule
Untertürkheim“.
In der in zehn Klassen 360 Schüler und Schülerinnen unterrichtet
wurden.
Eberhard Hahn, März 2009