Eßlinger Zeitung vom 15.08.2008
STUTTGART/ESSLINGEN:
Im kühlen
Nass des Flusses tummeln sich unterschiedlichste Krankheitserreger
Von Elisabeth Schaal
Mit dem Kanu auf dem Neckar oder seinen Kanälen
paddeln, angeln oder Wasserski fahren - der Fluss vor Esslingens Haustür
bietet attraktive Freizeitvergnügen. Und immer wieder ist von
unterschiedlichster Seite zu hören, die Wasserqualität sei „tipptopp“,
ein Sturz ins Neckarwasser schade nicht. „Das stimmt nicht“,
hält Albrecht Wiedenmann vom Esslinger Gesundheitsamt dagegen: „Die
Leute bringen die öko-toxikologische und die hygienisch-mikrobiologische
Qualität durcheinander. Und das sind eben zwei paar Stiefel.“
Mit
der öko-toxikologischen Qualität sind beispielsweise die
Angler äußerst zufrieden: Die Belastung mit Schadstoffen
wie Phosphat, Nitrat und Schwermetallen ist so stark zurückgegangen,
der Sauerstoffgehalt dagegen so gut, dass sich im Neckar auch so empfindliche
Tierchen wie Forelle und Schleie wieder pudelwohl fühlen.
Magen-Darm-Infekte
drohen
Ein übermütiger Schwimmer freut sich vielleicht auch
für den Moment übers Baden im Fluss - doch die Folgen können
gravierend sein und von Magen-Darm-Infekten über Hautausschläge
bis schlimmstenfalls zu der von Bakterien ausgelösten Leptospirose
reichen. Einer akut verlaufenden Infektionskrankheit mit hohem Fieber,
Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, einer Entzündung
der Augenbindehäute sowie starken Wadenschmerzen, die bis zu Hirnhautentzündung
führen kann.
Denn die hygienisch-mikrobiologische Qualität
des Neckarwassers ist schlichtweg mangelhaft: Es sind viel zu viele
Krankheitserreger enthalten - unter anderem im Urin von Ratten. Krankheitserreger
gelangen nicht nur mit einem Schluck Neckarwasser in den Körper,
sondern können auch über kleinste Hautverletzungen oder die
Schleimhäute eindringen. Die Schadstoffkonzentration, die geklärte
Abwässer bei der Einleitung in die Flüsse noch haben dürfen,
ist zwar gesetzlich festgeschrieben. Doch Krankheitserreger aus dem
Wasser zu entfernen - dafür sind Kläranlagen nicht ausgerichtet. „Die
Technik dafür gibt es zwar, doch müsste sie eben in den Kläranlagen
zusätzlich installiert werden“, sagt Wiedenmann, Facharzt
für Hygiene und Umweltmedizin.
Und so sorgen die mechanische und
biologische Abwasserreinigung eben lediglich dafür, dass die öko-toxikologische
Wasserqualität immer besser wird. Und sofern eine Kläranlage
mit einer dritten Reinigungsstufe ausgestattet ist, lassen sich problematische
Stoffe wie Stickstoff- und gelöste Phosphorverbindungen, schwer
abbaubare Stoffe, Schwermetalle oder Salze noch weiter verringern.
Wie streng diese Vorschriften im Übrigen sind, verdeutlicht der
Fachmann des Esslinger Gesundheitsamtes: „Die Grenzwerte für
Phosphat sind für geklärte Abwässer niedriger als für
das Trinkwasser.“
Erst im Mai hatte auch Baden-Württembergs
Gesundheitsministerin Monika Stolz vom Baden in den Flüssen des
Landes abgeraten: „Sie sind - wenige Badestellen ausgenommen
- nicht zum Baden geeignet und werden amtlich nicht kontrolliert.“ Ganz
anders dagegen die Wasserqualität der Badeseen im Land: Von den
in der Badesaison 2007 regelmäßig kontrollierten 310 Gewässern
seien 287, also rund 93 Prozent, zum Baden „gut geeignet“ (die
beste EU-Bewertungskategorie) und 16 Plätze, also weitere rund
5 Prozent, zum Baden „geeignet“.
„Tiefrote Linie“
Kein
Wunder also, dass es auf der Badegewässerkarte 2008 nur so von
blauen Punkten wimmelt: Blau für höchste Wasserqualität.
Und Albrecht Wiedenmann, ein promovierter Mediziner, der sich in seiner
Doktorarbeit mit Bakterien im Trink- und Badewasser auseinander gesetzt
hat, verdeutlicht: „Würde man die Kriterien, nach denen
die Qualität der Badeseen beurteilt wird, für die Qualität
des Neckarwassers zugrunde legen, müsste man ihn auf einer solchen
Karte von seinem Ursprung im Schwenninger Moos bis zu seiner Einmündung
in den Rhein bei Mannheim tiefrot einzeichnen. Also mit mangelhafter
Wasserqualität.“
Wiedenmann stützt sich auf eine -
allerdings bereits vor Jahren durchgeführte - Untersuchung, bei
der an zwölf Stellen auf der gesamten Länge des Neckars die
mikrobiologische Wasserqualität geprüft wurde. Im Landkreis
Esslingen wurden die Proben bei der Anlegestelle des Ruderclubs Nürtingen
und beim Kanuverein in Mettingen entnommen. Nirgends entsprach das
Wasser der für eine Badestelle erforderlichen Qualität.
Dass
die Gefahr nicht nur theoretischer Natur ist, zeigt das Schwimmen bei
einem Triathlon-Wettbewerb vor zwei Jahren im Neckar bei Heidelberg:
Mindestens 70 Teilnehmer waren danach an Gastroenteritis erkrankt,
drei mussten mit Leptospirose ins Krankenhaus. Über das Risiko
aufklären Wiedenmann folgert daraus: „Die Leptospirose ist
nicht mehr nur eine Erkrankung tropischer Länder; bei steigenden
Fallzahlen spielen Aktivitäten am und auf dem Oberflächenwasser
eine wichtige Rolle. Wer beruflich oder in der Freizeit also am Neckar
aktiv ist, muss deshalb über das Risiko aufgeklärt werden.“ Einen
Antrag, im Neckar einen Schwimmwettbewerb veranstalten zu dürfen,
würde der Mitarbeiter des Gesundheitsamtes im Übrigen auf
jeden Fall ablehnen.