Eßlinger Zeitung vom 13.08.2008
- STUTTGART/ESSLINGEN:
Mit der Motoryacht auf
der Suche nach der Idylle - In siebeneinhalb Stunden von Plochingen
nach Hofen und wieder zurück - 260 PS
auf verlorenem Posten
Von Claudia Bitzer
Das St. Tropez der Plochinger
Motor- und Segelbootfreunde ortet man etwa einen Kilometer östlich
des Altbacher Kraftwerks am Ufer. Dort am Neckarstromkilometer 200,1,
kurz vor dem Ende der Bundeswasserstraße im Plochinger Hafenbecken,
befindet sich ihr Clubgelände. Das größte Schiff,
das an jenem Sommertag eher behäbig dort unten im Neckarwasser
dümpelt, ist allerdings kein flotter Flitzer, sondern ein behagliches
Hausboot und gehört Manfred Herbst.
Der Vorstand des Motoryacht-Clubs
Kurpfalz Mannheim sieht selber auch sehr gemütlich aus und ist
mit Frau Christel 14 Tage auf dem Neckar unterwegs. Auch das geht
sehr gemächlich zu: Mit 106 PS benötigt ihre schwimmende
Drei-Zimmer-Wohnung vier Liter auf die Stunde bei einer Geschwindigkeit
von zehn Stundenkilometern. 16, 18 schafft „Sutje“ maximal.
Eile mit Weile Das schnittige Ein-Zimmer-Appartment mit Kajüte,
Klo und Kiel, das daneben liegt, ist da schon wesentlich flotter
unterwegs: Die acht Meter lange „Fee“ von Dietmar Zimmermann
kann ihre 260 PS bei einem durchschnittlichen Spritverbrauch von
40 Litern bei 40 Stundenkilometern im Gewässer vor dem Heimathafen
allerdings gar nicht nutzen. Ihre Spitzenleistung liegt bei 62 Stundenkilometern.
Doch auf dem Neckar sind für alles, was schwimmt und einen Motor
hat, 18 Stundenkilometer das höchste der Gefühle - sonst
kommt die Wasserschutzpolizei. „Eilig haben darf man es hier
nicht“, sagt Dietmar Zimmermann.
Der Chef des 120 Mitglieder
starken Yachtclubs Plochingen ist vielleicht fünf Jährchen älter
als Flavio Briatore, dafür aber auch um mindestens ein Fünffaches
sympathischer. Wie es sich gehört, hat er zwei sehr junge, hübsche
Damen im Schlepptau. Aber weil es am Neckar eben eher familiär
zugeht, handelt es sich um seine 15-jährige Enkelin samt ihrer
Freundin. Schleusen im S-Bahn-Takt Sie nehmen uns mit auf eine Tour
von Plochingen bis zur Hofener Schleuse. Ein Flussabschnitt, den
selbst Gotthilf Fischer unter Aufbietung all seiner Chöre nicht
mehr als Neckaridylle beschmettern könnte.
In gebührendem
Abstand hinter uns tuckert die schwimmende Drei-Zimmer-Wohnung von
Familie Herbst. Die hat sich und ihr Boot bei den Clubkameraden in
Plochingen drei Tage aufgefrischt und tritt jetzt die Rückreise
an. „Wir fahren zusammen bis nach Hofen“, erklärt
Zimmermann. Denn spätestens bei den sieben Schleusen, die sich
zwischen Plochingen und Stuttgart wie die S-Bahn-Haltestellen häufen,
trifft man sich wieder.
Wogen sind geglättet
Kurz nach 10.30
Uhr liegt die Schleuse Deizisau hinter uns, rechts knallt das Kraftwerk
Altbach in den blauen Himmel. Technologie pur in Aluverschalung -
von menschlichem Leben nichts zu sehen. Doch, dort am Ufer kauert
unterhalb der Riesenschlote ein Angler. „Die sind wie Pilze
aus dem Boden geschossen“, erzählt Motorboot-Kapitän
Zimmermann. „Wir haben da schon unterschiedliche Interessenslagen.“ Aber
es habe schon Zeiten gegeben, in denen ein rauerer Wind geweht sei,
die Wogen seien mittlerweile geglättet. Das Motorengeräusch
unseres Boots übertönt den Lärm der B 10 direkt neben
uns, Büsche und Bäume verhüllen sie gnädig. Dann
rauscht sie allerdings nackt und kahl über die renaturierte
Körschmündung und setzt ihr vom optischen Eindruck her
gesehen - schwupps - wieder den Betondeckel auf.
Wir nähern
uns der Neckarinsel vor Oberesslingen. Am Hechtkopf bei Neckar-Kilometer
196,7 liegen die Boote des Motor-Yacht-Clubs Esslingen im Altarm.
Man hat regen Kontakt, pflegt ein gutnachbarschaftliches Verhältnis,
sagt Kapitän Zimmermann aus Plochingen. Enkelin Jasmin hilft
ihm beim Schleusen. Im Verein ist man stolz auf die Jugend, die auch
schon mehrere Titel eingefahren hat. Aber mit 16, 17 Jahren „haben
die halt dann andere Interessen“, weiß auch Zimmermann.
Dann sind sie erst einmal weg. Die über 50-Jährigen bestimmen
die Mitgliederstruktur. Kein Wunder. Ob Motor-Freund oder Skipper:
Die meisten haben ihr eigenes Boot - und das muss man sich erst einmal
leisten können. Zimmermann schätzt seinen gleitenden Einraumflitzer
auf rund 70 000 Euro, ein Hausboot wie das der Mannheimer liege etwa
zwischen 150 000 und 200 000 Euro. Landratsamt auf Stelzen Im Esslinger
Freibad ist trotz Superwetter noch relativ wenig los.
Dann beginnt
der vom Fluss aus gesehen mit Abstand unattraktivste Streckenabschnitt
der letzten fünf Kilometer. Das neue Landratsamt gleicht auf
seinen Uferstelzen den Verladestationen, die wir ein paar Kilometer
weiter im Stuttgarter Hafen sehen. Das Betonkorsett des Neckars geht
auf der rechten Seite - nur vom Radweg unterbrochen - nahtlos in
den Graffiti-Wall des Merkelparks über. Am linken Ufer schieben
sich dicke Fernwärmeröhren entlang. Geradezu unscheinbar:
rechts der Anleger an der Pliensaubrücke. Würden sich sonntägliche
Neckarfahrten zwischen Stuttgart, Esslingen und Plochingen lohnen? „Wenn
es so ein Angebot gibt, sind jedenfalls immer eine Menge Leute da,
die mitfahren wollen“, hat Zimmermann erst beim 40-jährigen
Jubiläum seines Vereins wieder bemerkt. „Aber so etwas
fest zu etablieren, ist teuer.“
Äste mit Wasserkontakt
Etwa auf Höhe des Esslinger Bahnhofs beginnt dann ein kurzer
Abschnitt, der dem Fluss fast wieder seine Unschuld zurückgibt.
Das Ufer ist dicht bewachsen, von der B 10 ist nichts zu sehen. Doch
die Idylle währt nur kurz. Bei der Schleuse Obertürkheim
heißt es warten, warten, warten.
Ein Boot des Wasser- und Schifffahrtsamts
nimmt einen Stall voller Kinder auf. Ferienprogramm im Ballungsraum. „Sutje“ und „Fee“ schaukeln
im Brackwasser, die Kapitäne sind von Bord gegangen und fachsimpeln
auf dem Beckenrand. Irgendwann geht es tatsächlich eine weitere
Staustufe tiefer. Mit den Schotten öffnet sich auch der erste
Blick auf den Stuttgarter Hafen. „Rechts liegt das Gebäude
der Wasserschutzpolizei“, erläutert Kapitän Zimmermann.
Ein blauer Kran verlädt Schrott auf die MS Steigerwald aus Köln. „Mittlerweile
liegen wir bei 300 Euro pro Tonne“, beziffert Zimmermann das
begehrte Frachtgut.
Zwischen zwei Weinbergkegel schiebt sich der
Rotenberg ins Blickfeld - und wir schieben uns schon wieder in eine
Schleuse. 27 sind es summa summarum, bis der Neckar bei Mannheim
in den Rhein mündet. Zwischen Hofen und Deizisau werden sie
alle zentral über Obertürkheim gesteuert.
Wieder heißt
es warten. Ein 105-Meter-Wurm aus Rotterdam kriecht neckaraufwärts.
Frachtverkehr hat Vorfahrt vor den Sportbooten. Während wir
nicht auf die Uhr schauen müssen, wird am Ufer im Akkord gearbeitet.
Zeit ist Geld. Das gilt nicht nur bei dem Autobauer mit dem Stern,
sondern auch bei den Binnenschiffern. Zimmermann: „Die schichten
auch. Meist im Familienbetrieb. Ein Kahn muss immer in Bewegung sein.“
Yacht
bremst für Ruderer Um 13.45 Uhr haben wir uns nach drei Stunden
und 15 Minuten gerade einmal in Bad Cannstatt eingeschleust. Zwei
Kanuten kommen uns entgegen. Zimmermann bremst für die Handarbeiter,
unsere Bugwelle fällt bescheidener aus. Nach der Müllverbrennungsanlage
in Münster beginnt der schönste Streckenabschnitt. Weinberge
mit Trockenmäuerchen und kleinen Häuschen reichen bis ans
Ufer heran, rechts taucht der Max-Eyth-See und vor uns schließlich
die Hofener Schleuse auf. Zeit, um sich von „Sutje“ und
den Mannheimern zu verabschieden.
Während die sich bei Kilometer
176,5 an der Infrastruktur des schwimmenden Clubheims der Wassersportgemeinschaft
Stuttgart laben, geht es für uns zurück. Gegen 18 Uhr machen
wir wieder im Plochinger Yachthafen fest.
Für die 48 Kilometer
haben wir rund 7,5 Stunden gebraucht. Macht einen Schnitt von 6,4
Stundenkilometern. Zimmermann: „Das ist gut gelaufen.“ Wie
gesagt: Eilig haben darf man es nicht auf einer Yacht. Jedenfalls
nicht auf dem Neckar.
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