Manufakturrat diskutiert neue Verfahren zur Weinherstellung
in der Untertürkheimer Kelter
Erfährt Wein durch Mostkonzentration einen Qualitätsschub
oder nicht? Dieser Frage widmete sich der Rat der Weinmanufaktur Untertürkheim
am Samstagabend in der dortigen Kelter. Winfried Dörr, Kellermeister
der Winzergenossenschaft Möglingen, erläuterte verschiedene
Verfahren.
VON
SIMONE HÖCKELE-HÄFNER
Der Manufakturrat, ein Kreis von rund 30 Weinliebhabern aus Wirtschaft,
Politik, Gastronomie und Gesellschaft, soll die Weinmanufaktur in ihrer
Arbeit unterstützend begleiten. Bei seiner dritten Sitzung am Samstagabend
standen neue önologische Verfahren im Mittelpunkt, etwa den Entzug
von Wasser, die Konzentration durch Vakuumverdampfung, Umkehrosmose
und Kryoextraktion oder die Aromatisierung durch Holzchips anstelle
des klassischen Ausbaus im Eichenfass.
"Im Unterschied zu traditionellen Verfahren, etwa die Zugabe von
Hilfsmitteln zur besseren technischen Verarbeitung, greifen die neuen
Verfahren in das Produkt Wein ein", erläuterte Dörr.
Viele dieser Verfahren wurden vor einigen Jahrzehnten in Deutschland
entwickelt, beispielsweise in der Fruchtsaftindustrie, und finden nun
in Ländern wie Südafrika, Chile oder Australien bei der Weinherstellung
Anwendung. "Dort hat man ein anderes Verhältnis zum Wein:
Wenn etwas das Produkt besser macht, kann es nicht schlecht sein",
sagte Dörr.
Während die Konzentration durch Vakuumverdampfung und Umkehrosmose
seit vergangenem Jahr auch in Deutschland zugelassen ist, sind die Kryoextraktion
und die Aromatisierung nur zu Versuchzwecken erlaubt. Mit der Kryoextraktion,
die dem Most Wasser durch Gefrieren entzieht, ließe sich ein künstlicher
Eiswein herstellen, wie es in der Schweiz auch praktiziert wird. "Will
man die Tradition des Eisweins durch technische Tricks aufs Spiel setzen?",
fragte Dörr skeptisch in die Runde.
Der Markt könnte den Wengertern die Entscheidung abnehmen, wie
Harry-Peter Carstensen, agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
und Ehrengast bei der dritten Ratssitzung, anmerkt: "In den Gesprächen
innerhalb der Welthandelsorganisation WTO wird nur nach dem Produkt
gefragt, nicht nach der Herstellung." Viele Kunden hielten es ähnlich.
Doch
auch die erlaubte Konzentration schafft, anders als in Frankreich oder
Italien, in nördlicher gelegenen Anbauländern wie Deutschland
eher unharmonische Weine mit höherem Alkoholgehalt. Als nach der
trockenen Theorie flüssige Praxis in die Gläser kommt, leuchtet
der Verzicht auf die Konzentration rasch ein: wohlwollendes Nicken der
Verkoster erntet ein Lemberger, der von der Weinbauschule Weinsberg
auf verschiedene Arten ausgebaut wurde.
Bernd Munk, Vorstandsvorsitzender der Weinmanufaktur, gibt indes nach
dem Sonnensommer 2003 Entwarnung: "Bei diesem Jahrhundertjahrgang
braucht man nichts konzentrieren."
Stuttgarter Nachrichten 01.10.2003