Cannstatter Zeitung vom 6.8.2013 - BAD CANNSTATT: Vor 125 Jahren Pioniertat von Friedrich Hermann Wölfert und Gottlieb Daimler am 10. August 1888
Monteur Michael aus Dresden im Luftschiff von Wölfert. Er fuhr das erste motorisierte Luftschiff vom Seelberg aus, das bei Kornwestheim vor 125 Jahren landete. Fotos: Archiv Schulz
Bad Cannstatt darf stolz sein. Von hier aus gab es vor 125 Jahren die
weltweit erste motorisierte Luftschiff-Fahrt mit einem Benzinmotor. Das
motorisierte Luftschiff des Leipziger Buchhändlers Dr. Friedrich
Herrmann Wölfert startete am 10. August 1888 vom Hof der Daimler’schen
Fabrik auf dem Cannstatter Seelberg. Als Antrieb diente ein
Daimler-Einzylindermotor (2 PS/1.5 kW bei 700/min). - Von Iris Frey -
Diese erste Fahrt eines motorisierten Luftschiffes mit Benzinmotor
endete in Kornwestheim. Ein Nachbau der Gondel des Luftschiffes ist im
Mercedes-Benz-Museum ausgestellt und vertritt dort Daimlers Vision einer
Motorisierung zu Wasser, zu Lande und in der Luft.
Der Urenkel
Friedrich Herrmann Wölferts, Günter O. Schulz, ist heute noch sehr stolz
auf seinen Urgroßvater und dessen bahnbrechende Leistung. Ihn
begeistert an der Erfindung seines Urgroßvaters, „dass er sich als
Verlagsbuchhändler in Leipzig von dem königlich-sächsischen Oberförster
Ernst Georg Baumgarten für die Luftfahrt begeistern ließ und dadurch
sein ganzes Leben veränderte“, wie er unserer Zeitung gegenüber
erklärte. Baumgarten aus Grüna bei Chemnitz sei der eigentliche Erfinder
des Luftschiffs, so Schulz. Über die Reaktionen der Öffentlichkeit
damals weiß er so gut wie nichts. Dafür über die Flugumstände: Das
Luftschiff sei sehr klein gewesen, es konnte mit dem Motor und seinem
Urgroßvater nicht ausgewogen werden, sodass der junge Begleiter
Wölferts, Michael aus Dresden, das Luftschiff mit seinem 84 Kilo
schweren Motor steuerte, wie der Urenkel weiß. „Er musste sich seiner
Kleidung bis auf die Badehose und sogar des Geldbeutels entledigen.“
Auch das Steuerrad wurde aus Gewichtsgründen entfernt. Das Luftschiff
ist bei Kornwestheim auf dem Aldinger Exerzierplatz mit Hilfe der
herbeieilenden Offiziere gelandet.
„Es gab weit über hundert Auffahrten
des Luftschiffs“, weiß Schulz, der selbst nicht flugbegeistert ist. Er
ist Gärtnermeister und forscht aber seit 1977 über seinen Urgroßvater.Im
Buch „Ein Traum wird wahr“, das er mit Horst Teichmann über Georg
Baumgarten und Dr. Wölfert, die wichtigsten deutschen Luftschiffpioniere
des 19. Jahrhunderts, verfasst hat, hat er über seinen Urgroßvater
geschrieben. Im Text „Wie der Motor in die Luft kam - 125 Jahre
Motorluftfahrt“, erinnert er an das Jubiläumsjahr. Nur fünf Tage,
nachdem Bertha Benz mit ihren Söhnen mit dem Patent-Motorwagen ihre
Eltern in Pforzheim besucht hat, hat sich aus dem Hof der Daimlerschen
Fabrik auf dem Seelberg das Luftschiff von dem aus Leipzig stammenden
Dr. Wölfert erhoben, angetrieben von einem Benzinmotor, den Gottlieb
Daimler mit Wilhelm Maybach entwickelt hatte, ein schnell laufender
Viertakt-Ottomotor. Daimler hatte Wölfert nach Bad Cannstatt eingeladen,
der nach einem kraftvollen Antrieb für sein Luftschiff gesucht hatte.
„Somit wurde nur fünf Tage nach der weltweit ersten Überlandfahrt eines
Automobils bereits die Motorluftfahrt eingeläutet, mit einem
Benzinmotor, also mit einem Motor, mit dem die Luftfahrt überhaupt erst
ermöglicht wurde“, stellt Schulz fest. Der erfolgreiche Aufstieg von
Cannstatt sei der bisher größte Erfolg eines Baumgarten/Wölfertschen
Luftschiffes gewesen.
Gottlieb Daimler habe bereits 1885 seinen Motor
als Luftschiffmotor patentieren lassen und war mit dem Ergebnis der
ersten Auffahrt zufrieden, so Schulz. Wölferts Schicksal endete am 12.
Juni 1897, als er in Berlin-Tempelhof brennend mit dem Luftschiff
„Deutschland“ abstürzte. Der Luftfahrt-Pionier und sein Monteur Robert
Knabe kamen dabei ums Leben. Sie waren die ersten Opfer der
motorisierten Luftfahrt, so Schulz. Auch die großen Zeppeline, die von
1900 bis 1937 die Menschen faszinierten, hätten bis heute Bauteile, die
von Baumgarten/Wölfert vor 125 Jahren erfunden, angedacht oder erbaut
wurden, erklärt der Urenkel.
Pro-Alt-Cannstatt denkt an das Ereignis am
10. August mit einer Aktion: Um 11 Uhr startet ein Luftballonwettbewerb.
Der Verein lässt 125 Luftballone an der Ecke Kreuznacher/Kissinger
Straße bei der Gedenktafel der Daimler AG steigen, wo das Luftschiff vor
125 Jahren abhob. „Der Ballon, der am weitesten fliegt, erhält einen
Preis“, so Matthias Busch vom Verein.
Foto: Friedrich Herrmann Wölfert
erfand das Luftschiff mit Baumgarten.