Eleonore Lindenberg war 15 Jahre lang die Sekretärin des Autors Thaddäus Troll.
Untertürkheim 25.8.2012 - Hellwache Augen hinter den Brillengläsern. Das ist
der erste Eindruck, als Eleonore Lindenberg die Tür ihrer Wohnung in
Luginsland öffnet. Und sie spricht Hochdeutsch. Sie singt es nicht, wie
andere Schwaben, die ihre Herkunft damit sofort verraten. Dabei hat
Lindenberg fast 15 Jahre lang für einen gearbeitet, der über sich sagte,
wenn er Hochdeutsch rede, sitze er am Klavier, wenn er Dialekt
schwätze, an der Orgel.
Die 75-Jährige stellt sich als die Sekretärin von Thaddäus Troll vor,
obwohl der große schwäbische Schriftsteller sie schon Ende der
sechziger Jahre zur „Verwalterin und Sichterin des gesamttrollschen
Oeuvre” ernannte. 1980 ist der Autor gestorben, und wenn Lindenberg
sagt, sie pflege seinen Nachlass, ist das eine glatte Untertreibung. Sie
führt sein Werk weiter – und sie weiß die Orgel zu spielen. Schwäbische
Schimpfwörter kommen ihr ebenso schön über die Lippen wie Kosenamen.
„Butzawackele“ (Kleinkind) und „Amenaschlupferle“ mag sie besonders,
„das kann man gar nicht ins Hochdeutsche übersetzen“, sagt sie. Von dem
Autor hat die gebürtige Schwäbisch Gmünderin, die mit sechs Geschwistern
in Ellwangen aufwuchs, viele solcher Ausdrücke gelernt.
Ursprünglich aus Bad Cannstatt
Dass sie den Troll ausgerechnet in der ehemaligen Arbeitersiedlung
Luginsland weiterleben lässt, ist zunächst einmal erstaunlich. Stammt
doch Dr. Hans Bayer, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, aus Bad
Cannstatt und ließ sich später auf der noblen Gänsheide nieder.
Auf den ersten Blick passt auch Eleonore Lindenberg nicht in diese
Untertürkheimer Siedlung, die entstand, weil man vor hundert Jahren
billige Wohnungen für Arbeiter benötigte. Andererseits: Seit fast 40
Jahren lebt Eleonore Lindenberg dort, frisch geschieden und mit zwei
Kindern war es 1974 nicht einfach, eine neue Bleibe in Stuttgart zu
finden. Weil ein freundliches Ehepaar ihr eine Wohnung anbot, zog sie
aus Stuttgart-Rot her. Luginsland sei auf den ersten Blick etwas spröde,
und es fehle der Ortskern, räumt die 75-Jährige ein, „trotzdem gibt es
in Untertürkheim einiges zu entdecken“. Sie mag die Nähe zu den
Weinbergen, die alten Häuser am Kelterplatz, die Josefslegende von HAP
Grieshaber in der Evangelischen Stadtkirche und die 1903 erbaute
Pfarrkirche mit der ältesten Orgel der Stadt, einer Romantikorgel von
Johann Baptist Schefold. Nur der Behnisch-Kindergarten gefällt ihr
nicht. „Aber schon allein wegen Daimler ist die Geschichte des
Stadtbezirks interessant“, sagt Lindenberg.
Das Buch wurde verfilmt
Von ihrer Wohnung aus hat sie zudem den Weitblick, den sie für ihre
Arbeit benötigt. Da ist zum einen natürlich der Württemberg. Und von
ihrem Arbeitszimmer aus sehe sie sogar den Schlaichturm auf dem
Killesberg, sagt sie. Das muss man ihr glauben, denn die Tür zum Büro
bleibt an diesem Vormittag verschlossen. „Es ist einfach zu unordentlich
gerade“, meint Eleonore Lindenberg und lächelt.
In den vergangenen Wochen hat die gelernte Chefsekretärin unzählige
Stunden am Schreibtisch und im Deutschen Literaturarchiv Marbach, wo
Trolls Nachlass archiviert ist, zugebracht, um Bonusmaterial für die DVD
„Deutschland deine Schwaben“ zusammenzustellen. Im Jahr 1971 hatte der
SDR das Buch von Thaddäus Troll verfilmt, jetzt veröffentlicht die
Schwabenlandfilm GmbH die Serie erstmals komplett auf einer Doppel-DVD.
„Als der Schwabenlandfilm-Chef Frieder Scheiffele auf mich zukam, wusste
ich nicht einmal, was mit Bonusmaterial gemeint ist“, gesteht Eleonore
Lindenberg. Dafür kennt sie das Buch wie niemand sonst: Es war das erste
Manuskript, das sie abschrieb, als sie im April 1966 bei Thaddäus Troll
anfing. „Ich habe mich beim Abtippen köstlich amüsiert, traute mich
aber nicht, das Buch zu kommentieren“, erinnert sie sich. Diese
Zurückhaltung seiner ersten Leserin habe ihren Chef sehr irritiert.
Sie konnte außergewöhnlich gut Englisch
Man kann sich gut vorstellen, dass das Jahr 1966 einen Wendepunkt in
Lindenbergs Leben markierte. Sie war gerade mit ihrem Mann und den zwei
Kindern aus Hessen zurück ins Schwäbische gezogen und suchte eine
Halbtagsstelle. „Ich habe eine einzige Anzeige aufgegeben, ganz klein“,
erinnert sie sich, „darauf kamen 60 Angebote.“ Das hängt vermutlich auch
damit zusammen, dass sie außergewöhnlich gut Englisch spricht. Bevor
sie nach Wetzlar heiratete, hatte sie ein Jahr als „eine Art Au-pair“ in
Chicago verbracht.
Ellwangen, Chicago, Wetzlar, Stuttgart: Ihr geht es ähnlich wie
Thaddäus Troll, der Heimat einmal „pluralisierbar“ nannte. Heimat sei
für ihn angemessene Umwelt, Ort, wo man ihm freundlich begegnet und wo
er sich wohl fühle, schrieb er in seiner Zeit als Soltauer
Stadtschreiber. Auch in Untertürkheim gab es für ihn solche Orte. Schon
als Schuljunge besuchte Troll regelmäßig das Inselbad, das von Paul
Bonatz erbaute älteste Freibad der Stadt. Er kam nicht allein des
Badevergnügens wegen, sondern vor allem wegen der weiblichen Badegäste,
wie er Eleonore Lindenberg einmal freimütig berichtete.
Infrastruktur wird immer schlechter
Später ist er gerne mit ihr in den Adler und in die Besenwirtschaft
Schwarz gegangen, wo er am liebsten Untertürkheimer Gips trank. „In der
Spargelzeit aßen wir immer in einem privaten Lokal, das von zwei
sympathischen älteren Schwestern betrieben wurde. Die Flädle schmeckten
wunderbar und die Aussicht auf die Wangener Höhe war herrlich“, schwärmt
Lindenberg. „Panoramahöhe“ habe das gastliche Wohnzimmer geheißen.
Eleonore Lindenberg bedauert es, dass viele dieser Wohlfühl-Orte im
Laufe der Jahre verschwunden sind und die Infrastruktur schlechter wird.
Metzger, Handwerker, Supermarkt – alles Vergangenheit, „nur einen
kleinen Obst- und Gemüseladen haben wir noch in Luginsland“.
Einen besseren Bahnhof wünscht sie sich
Doch letztlich lebe der Stadtbezirk ja von den Menschen. „Regine
Haugs Ausstellungen sind wichtig für Untertürkheim. Oder Eberhard Hahn,
der den Ort wie seine Westentasche kennt.“ Auch der Kirchenchor von St.
Johannes, in dem sie seit dem Jahr 1989 singt, sei eine schöne
Gemeinschaft.
Eines würde sich Eleonore Lindenberg für Untertürkheim wünschen: dass
der Bahnhof aufgewertet wird. „Ich finde es nicht in Ordnung, dass die
Spielhallen dort genehmigt wurden“, kritisiert sie. Stattdessen wäre ein
Heimatmuseum im Bahnhofsgebäude schön, „das Museum auf dem Württemberg
ist einfach zu weit weg“. Die Idee, das Heimatmuseum in den Ort zu
holen, hätte Thaddäus Troll sicher auch gefallen.
Thea Bracht, 25.08.2012
Stuttgarter Zeitung
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.heimat-stuttgart-kein-tag-ohne-thaddaeus-troll.bec1557f-19ea-443d-9949-be21e53175f3.html