UNTERTüRKHEIMER ZEITUNG vom 9.10.2010:
Mahnmal vor dem Haus in der Schlotterbeckstraße 4
erinnert an die in Grafeneck ermordete Christiane Marie Haug
(jps) - Im Rahmen einer Gedenkfeier wurde am Freitag in der Schlotterbeckstraße ein Stolperstein vor dem ehemaligen Wohnhaus der Weingärtner-Ehefrau Christiane Marie Haug verlegt. Diese wurde am 1. August 1940 im Zuge der „NS-Euthanasie“ in Grafeneck ermordet. Neben zahlreichen Untertürkheimern waren auch mehrere Nachfahren der Ermordeten anwesend.
Mit großer Anteilnahme verfolgten die anwesenden Untertürkheimer die Rede von Bernd Ballmann, einem der Enkel der von den Nazis Ermordeten, am Stolperstein vor dem ehemaligen Wohnhaus in der Schlotterbeckstraße.Foto: Schütze
Im Beisein von mehreren Enkeln, Urenkeln und zwei Ururenkelinnen der von den Nationalsozialisten ermordeten Christiane Marie Haug sowie zahlreichen Untertürkheimer Bürgern zementierte der Gründer der Stolperstein-Initiative Gunter Demnig das goldene Mahnmal vor dem Eingang des Hauses Schlotterbeckstraße 4 in den Gehweg ein. Eberhard Hahn, der Vorsitzende des Bürgervereins und Mitglied der Initiative Stolpersteine Obere Neckarvororte, erinnerte in seiner Ansprache an die vielen Opfer des NS-Regimes, die völlig unmittelbar aus Familie und Nachbarschaft herausgerissen wurden. Menschen, die in die selben Schulen gingen oder beim selben Bäcker einkauften.
In einem mahnenden Vortrag, untermalt von Trommelschlägen und dem Lied „We are the world“, erzählten die Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse der Luginslandschule unter der Leitung ihrer Lehrerin Ulrike Holoch-Karpf vom Leben und Leiden der Ermordeten. Mit großer Anteilnahme verfolgten die Anwesenden auch die bewegende Rede von Bernd Ballmann, einem der Enkelkinder Haugs. Mit angespannter, aber fester Stimme berichtete er im Namen aller Nachfahren vom Schicksal seiner Großmutter. Als Tochter des Weingärtners Gottlob Friedrich Frey und dessen Frau Katharine 1883 in Fellbach geboren, heiratete sie 1906 den Untertürkheimer Wengerter Karl Gottlob Haug, mit dem sie in den folgenden Jahren vier Kinder bekam. „Man kann sich vorstellen, dass die Eheleute glücklich auf der alten Fellbacher Straße wandelten“, sagte Ballmann.
Doch mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Karl Haug zum Wehrdienst eingezogen, wenige Wochen später fiel er an der Front. Die alleinige Verantwortung für die Familie und den Weinbaubetrieb hinterließen bei der 31-jährigen Witwe tiefe seelische Spuren. Nach jahrelanger psychiatrischer Behandlung und Einweisungen in Heilanstalten wurde sie im Zuge des „NS-Euthanasie“-Programms, dem tausende Menschen zum Opfer fielen, ins Vernichtungslager Grafeneck deportiert und dort am 1. August 1940 ermordet. Ein Schicksal, das Ballmann noch von seiner eigenen Mutter Frida Haug verschwiegen wurde - die damalige Generation sah das Geschehene als „Schandfleck in der Familie“, der möglichst „totgeschwiegen“ werden sollte. Untertürkheims Bezirksvorsteher Klaus Eggert betonte demgegenüber in seiner Rede die Wichtigkeit der Stolpersteine. Sie seien nicht nur „stumme Zeugen“, sondern auch Denkanstöße für die Erinnerung an eine Geschichte, „die sich nie mehr wiederholen darf.“